Schlagwort: Ukraine

Ende Oktober

Im Museumshafen liegt ein Schiff, das mit dem Beginn des Krieges im letzten Jahr eine sowjetische und eine russische Fahne gehisst hatte. Die rote Fahne ist inzwischen verschwunden, dafür gibt es jetzt eine palästinensische. Die DDR ist zurück, diesmal als Farce: Deutsch-Sowjetische Freundschaft, Kleine weiße Friedenstaube, Yassir Arafat, US-Imperialismus. Als Nächstes kommen wahrscheinlich Blauhemden und Fackelmärsche. Obwohl, Fackelmärsche gab es ja neulich schon.

Wer weiß, vielleicht ist so ein abgeschlossener, ethnisch homogener deutscher Nationalstaat inzwischen wieder mehrheitsfähig, zuzüglich Wohlstand und Ferienflieger natürlich. Das Wohlstandsversprechen von 1990 ist endlich eingelöst worden und jetzt stellen es Pandemie, Klima und Krieg infrage und alles gerät ins Rutschen.

Das ist eine Assoziation und keine Analyse, ich habe doch auch keine Ahnung. Es gibt zwei Sachen, über die ich einigermaßen Bescheid weiß: Schach und Asylrecht. Aber mein Schach wird mit jedem Jahr schlechter, nichts da mit Routine und Altersweisheit. Und über das Asylrecht will niemand etwas wissen.

Ein endloser Sommer voller meteorologischer Rekorde. Im Oktober kommt endlich der Herbst. Der Sturm trägt den Geruch von Salzwasser in die Stadt.

Zeitreise im Wartezimmer, Maske und Impfungen.

Der Tischler hat mir ein Regal für meine Schallplatten gebaut. Übermorgen erscheint endlich Now and Then. Sie sind jetzt den ganzen Weg gegangen.

#243

Der Dom in Göteborg ist ein merkwürdiges Haus. Eher flach, sehr hell, mit viel goldener Farbe und imitierten Marmorsäulen im Kirchenschiff. In einer Abseite hing eine Ikone vor einer ukrainischen Fahne und einem zweisprachigen Gebet für den Frieden. Davor konnte man gegen eine Spende ein Teelicht aufstellen. Da wir aber weder Swish noch schwedisches Bargeld hatten, nahm ich den Euro aus der Hosentasche, den ich dort für den Einkaufswagen vor dem Supermarkt aufbewahre, und warf ihn in den Opferstock.

#223

In diesen Tagen die Erinnerung an den Augustputsch von 1991, als plötzlich eine Bankreihe voller Untoter im Fernsehen auftauchte, in schlechtsitzenden Uniformen und mit verlebten Gesichtern. Sie sahen wie Abgesandte eines gerade vergangenen Zeitalters aus und so sprachen sie auch. Ein schlechter Witz. Ich saß im Dachzimmer unserer alten Wohnung am Schreibtisch, blickte aus dem Fenster hinaus auf die Gärten auf der anderen Straßenseite und hörte der Weltgeschichte in meinem Kofferradio zu. Sehr schnell wurde klar, dass dieser Auftritt nur eine Fußnote bleiben würde, eine skurrile Begebenheit, ein fernes Echo. Niemand war ernsthaft beunruhigt, obwohl gerade Panzer durch Moskau fuhren und die ostdeutschen Wälder noch immer voller russischer Soldaten waren.

Es ist so ein Elend, unfassbar.