An Fußgängerüberwegen haben Fahrzeuge mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen den zu Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 StVO). Das ist meine Lieblingsstelle für sog. geschlechtergerechte Sprache…
Schlagwort: Sprache
Mitgemeint
Ziemlich zum Anfang unseres Schwedischkurses hatten wir Berufsbezeichnungen. Wir übten wegen der lautlichen Nähe besonders die Unterscheidung von
en läkare = ein Arzt
en lärare = ein Lehrer
und ich fragte, was denn eigentlich die Lehrerin heißen würde. Unser (muttersprachlicher) Schwedischlehrer guckte mich etwas verblüfft an, ehe er verstand, was ich meinte. So ein Wort gebe es nicht, auch die Lehrerin sei en lärare, wenn man hervorheben wolle, dass es sich um eine weibliche Person handele, könne man vielleicht en kvinnlig lärare sagen, bei einer männlichen Person en manlig lärare.
Die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit stellt sich in der schwedischen Sprache an dieser Stelle nicht [1]. Schwedisch kennt nur zwei Genera: Utrum und Neutrum (unbelebt). Deutsch hat Maskulinum, Femininum und Neutrum. Wahrscheinlich entsteht deshalb ein Problem.
Im Singular lässt sich das Geschlecht gut markieren: die Lehrerin, der Lehrer. Aber welches natürliche Geschlecht haben die Lehrer? Sind das nur Männer? Oder auch Frauen?
Die Antwort ist eigentlich klar: Wir wissen es nicht. Es handelt sich um die Pluralform eines Maskulinums. Es sind Menschen, die den Lehrerberuf ausüben, und zwar völlig unabhängig von ihrem natürlichen Geschlecht. Genus und Sexus müssen sich in der deutschen Sprache nicht entsprechen. Ein Mädchen ist weiblich, obwohl das Wort grammatikalisch betrachtet sächlich ist. Eine Person kann auch ein Mann sein, obwohl es sich um ein Femininum handelt. Niemand würde auf die Idee kommen, dass die weibliche Pluralform die Personen keine Männer meinen könnte. Im Bus saßen fünf Personen – allein aus diesem Satz können wir keine Rückschlüsse auf ihren Sexus ziehen.
Deshalb habe ich Probleme mit der Formel vom mitgemeint sein. Diese setzt unausgesprochen voraus, dass das generische Maskulinum in erster Linie Männer und in zweiter Linie auch Frauen (mit-)meint. Das finde ich falsch. Das generische Maskulinum ist ein grammatikalisches Konstrukt, kein biologisches. Es meint alle Personen mit der jeweiligen Zuschreibung, vollkommen unabhängig vom biologischen Geschlecht [2].
Möglicherweise entsteht das Problem dadurch, dass an die Sprache die Erwartung herangetragen wird, dass sich Genus und Sexus entsprechen müssen. Doppelnennungen (Lehrerinnen und Lehrer) erzeugen erst die Vorstellung, dass die Lehrer nur männliche Lehrer sein können [3]. Letztlich ist das eine Umdefinition der deutschen Grammatik. In dem Maße, wie sich in der Lebenswirklichkeit eine geschlechtergerechte Verteilung von Arbeit durchsetzen wird, wird sich aber vielleicht auch das Sprachverständnis in dem Sinne anpassen, dass wir bei Chefärzten nicht mehr nur an Männer denken.
Anmerkungen
[1] Die bemerkenswert erfolgreiche Neuschöpfung des geschlechtsneutralen Personalpronomens hen liegt auf einer anderen Ebene. Hen tritt neben han = er und hon = sie. Das erlaubt zum Beispiel Vad söt hen är! = Wie süß er/sie ist!, wenn man nicht weiß, welches Geschlecht das Baby im Kinderwagen hat. Hen funktioniert wahrscheinlich deshalb so gut, weil es sich organisch in die vorhandene Wortfamilie einfügt und ein Vorbild im Finnischen (hän) hat.
[2] Intersexualität ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Genus und Sexus nicht deckungsgleich sein können.
[3] Antje Schrupp weist darauf hin, dass man bei Annahme eines generischen Maskulinums keine grammatikalische Möglichkeit hat, über Männer zu sprechen. Man muss sich in der Tat mit Konstruktionen wie die männlichen Lehrer der Schule behelfen, wenn es darauf mal ankommt.
Mein Französisch ist verschwunden. Ich erinnere mich nur noch an ein paar Lieder: Sur le pont d’Avignon, J’ai du bon tabac, Marseillaise. Wir haben viel gesungen. Es war die dritte Fremdsprache, wir machten den Abiturstoff in drei Jahren, fünf Stunden die Woche.
Unsere Lehrerin liebte die Sprache, obwohl sie niemals in Frankreich war, nur in Gedanken. Sie war immer gut gekleidet und trug eine extravagante Brille, deren Bügel an der Unterseite der Gläser ansetzten. Unsere Vornamen sprach sie französisch aus. Grandeur zwischen abgewetzten Schulbänken.
Madame N. hatte ein etwas hysterisches Verhältnis zur Technik, sie war ihr unheimlich. Einmal in der Woche gingen wir in das Sprachkabinett im Erdgeschoss und machten, mit speckigen Kopfhörern auf den Ohren und in abgetrennten Kabinen sitzend, Übungen in Aussprache und Hörverständnis, sobald es unserer Lehrerin gelungen war, das Tonbandgerät in Gang zu setzen. Sie saß dazu auf einem Podest und einmal blieb sie auf dem Weg dorthin mit ihren hohen Absätzen in einer Ritze zwischen den ausgetretenen Holzdielen hängen, mit den Armen entsetzt durch die Luft rudernd, Hilfe! Hilfe! Das ist geblieben.
– via Libralop