Schlagwort: Büro

#165

Die Ortsnamen aus den ukrainischen Asylakten nachschlagen. Auf den Fotos aus Google Maps am Ufer des Dnepr stehen. Unsere Vorfahren haben im ganzen Land eine Blutspur hinterlassen. Jetzt sind wir wieder hier und sie sind bei uns. Seltsames Gefühl.

#156

Mein Bürorechner funktioniert zu Hause nicht und es wird eine Weile dauern, das zu ändern. Der Support ist völlig überlastet, weil sich natürlich alle gleichzeit überlegt haben, dass sie jetzt Home Office machen wollen.

Eine merkwürdige Abschiedsstimmung im Büro. Die Leute mit kleinen Kindern füllen Anträge aus, damit sie freigestellt werden können, die meisten wollen bleiben, ein paar gehen nach Hause, so wie ich. Ich schleppe einen Koffer voller Akten mit, das sollte ein paar Tage reichen.

Abends wird der Shutdown verkündet. Ein Gefühl von Erleichterung, dass die Urlauber verschwinden müssen, zurück nach Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen. Der eigene Horizont reicht jetzt nur noch bis zur Landesgrenze. Als Nächstes wird es Ausgangssperren geben und was passiert dann? Ich kann mir keine Steigerung vorstellen, aber es wird eine Steigerung geben.

Alle Minister erzählen, dass sie eine Liste mit Aufgaben auf dem Schreibtisch liegen haben, die sie abarbeiten wollen, wenn das alles vorbei ist. Das klingt gut, ich glaube, weil es Zuversicht beinhaltet.

Ich versuche, meinen Schachverein in ein Online-Exil zu überführen. Die Schachserver sind so voll wie noch nie. Die ganze Welt sitzt vor dem Rechner und will sich ablenken.

Im Laden hatten sie heute wieder frisches Obst und Gemüse. Hoffentlich bleibt das so. Ich weigere mich, Dosengemüse zu essen.

Es hängt mit unserem Essen zusammen. Weil wir Tiere essen. Das war mir gar nicht klar.

Im November

Unruhe wegen eines Freundes, von dem ich seit vielen Jahren nichts mehr gehört habe. Ich gehe zu dem Haus, in dem seine Familie längst nicht mehr wohnt. Aber unter dem Dach ist Licht. Als ich an der Tür klingele, öffnet sein Bruder. So lange hätte ich mich nicht gemeldet und nun sei es auch zu spät. Er macht mir Vorwürfe, mir fehlen die Argumente. Aufgewacht.

Auf der Straße eine 20-Cent-Münze gefunden, es glänzte in der Sonne wie Goldstück. Das soll mir Glück bringen.

Im Büro stehen Änderungen bevor. Es wird auch höchste Zeit. Mir fehlt inzwischen die Kraft für Auseinandersetzungen, die zu nichts führen können. Auch eine Sache, die sich verändert hat: Ich will mich um so etwas nicht mehr kümmern oder ich kann es nicht mehr, eins von beiden.

Unbeantwortete Mails, nicht erledigte Anrufe, steckengebliebene Kommunikationen. Ich bin so schlecht in diesen Dingen, ich schaffe es noch nicht einmal, meine Freundschaften zu pflegen.

Ich vernehme eine Psychologin als Zeugin. Beim Rausgehen wünscht sie mir Alles Gute! Respekt, ich fühle mich durchschaut.

Alle in der Klinik bekamen einmal während ihres Aufenthalts den Chefarzt zu sehen. Er stellte sich vor den Saal, verdunkelte das Licht, streckte die Hände aus und sagte Ich möchte Sie trösten. Es erschien uns noch nicht einmal unpassend. Am Ende liefen seine Ratschläge auf zwei Sachen hinaus: Entspannung und dreimal in der Woche schwitzen. Wir gehen also wieder in die Muckibude. Ich sitze auf dem Ergometer, fahre 100 Watt und hoffe, dass ich es überstehe. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Es ist wie beim Baden im Sommer – ich habe keine Freude daran und bin froh, wenn ich wieder aus dem Wasser bin. Aber immerhin gehe ich rein.

Zweimal im Theater, Hamlet und Hamletmaschine. Zu meiner Überraschung ist es voll, wie vor dreißig Jahren. Liebe Theaterleute, vertraut doch einfach auf den Text. Der Rest ergibt sich dann von selbst.

Ich werde ihm noch einmal schreiben.