Als wir auf der Pritsche vom W50 saßen, das Gewehr zwischen den Beinen, den Kolben auf dem Boden, auf der Fahrt zum Schießplatz, mit klammen Fingern in dieser Scheißkälte, als das Gerede begann, was das alles noch sollte, draußen fuhren sie in den Westen, der Klassenfeind stand auf unseren Marktplätzen und machte Wahlkampf und wir putzten jeden Tag auf einem Hocker im Flur die Kalaschnikows, Waffe entladen, entspannt und gesichert, bis die Offiziere kein Staubkorn mehr im Lauf fanden und jeder Fettfleck auf dem Metall verrieben war, als einer sagte, er werde in die Luft schießen bei der Übung und noch einer und noch einer und dann schossen wir über die Zielscheiben hinweg, da war es auf einmal zu Ende, Entladen! Munition abgeben! Aufsitzen! und die Tür zur Waffenkammer in unserer Baracke wurde nie wieder aufgeschlossen. Was in der 8. Klasse mit einem KK-Gewehr im Erlengrund begonnen hatte oder vielleicht schon früher, Der Friede muss bewaffnet sein, war auf einmal zu Ende, der Wehrunterricht, die GST-Nachmittage, die Wehrlager, die Tage der Wehrbereitschaft, die Uniformen und die genagelten Stiefel auf dem Schulboden, die Fragen nach den drei Jahren Dienst für den Frieden, nach den Grenztruppen, die Musterung, die Geschichten von denen, die erschossen worden waren, weil jemand die Zielkoordinaten vertauscht hatte, weil jemand abhauen wollte, weil jemand durchgedreht war, die Schießübung bei der Grundausbildung, neben mir lag der Alkoholiker, den seine Frau verlassen hatte und der hoffentlich die Nerven behalten würde, ich wurde bester Schütze im Zug und bekam einen Tag Sonderurlaub. Jeder Angehörige der Nationalen Volksarmee muß seine Waffe so behandeln und pflegen, daß sie jederzeit einsatzbereit ist, aber das war auf einmal vorbei, weil wir die Lust verloren hatten.
Einen Freund wiedersehen und mit ihm ein Gespräch über Musik führen
Skalitzer Straße, Privatclub. Leif Vollebekk ist nach Berlin geflogen, hat sechs, sieben Stücke gespielt und entschuldigt sich gerade ein bisschen für seine Zugabe, einen Ray-Charles-Song. Zugaben wären in Kanada nicht so üblich und überhaupt sei es ein wenig unhöflich, den nächsten Künstler zu lange warten zu lassen.
– Ich meine, ich bin jetzt zweihundert Kilometer gefahren, um Leif Vollebekk zu sehen und dann ist er nur die Vorband.
– Das ist okay. Ich bin mal nach Hamburg zu Thomas Dybdahl gefahren, der war auch nur Vorprogramm.
– Für wen denn?
– Das weiß ich gar nicht mehr.
Greifswalder Oie
Ø, en. 1) større ell. mindre landomraade, der paa alle sider er omgivet af vand (Ordbog over det danske Sprog).
Nordost bis Nord 4 bis 5, nordwestdrehend, etwas abnehmend, See 2, später 1 Meter. Im Wasser sei noch die Dünung von gestern und vorgestern, alter Wind. Am schwierigsten wäre es, die Leute bei Wetter nachher wieder von der Insel auf das Schiff zu bekommen, es müssten schließlich alle mit zurück. Aber der Wind werde sich legen.
Die Oie sitzt wie ausgestochen auf dem Wasser, ein Klumpen Erde, ein Sandkastenförmchen.
Unfern der Mündung der Peene, ungefähr eine oder anderthalb Meilen in die Ostsee hinein, liegt die kleine Insel Oie. Sie gehörte früher zur Marien-Kirche in Greifswald; seit mehr als hundert Jahren ist sie aber schon zum Kirchspiel Kröslin eingepfarrt. Die ganze Insel wird von ungefähr dreißig Menschen bewohnt, die aus drei Familien bestehen, und auch nur in drei Häusern wohnen. Bis vor dreißig Jahren war noch niemals ein Bettler auf der Insel gewesen. Da geschah es einmal in einem strengen Winter, als die See von Peenemünde bis nach der Insel hin zugefroren war, daß ein Bettler auf den Einfall kam, die Eisbahn zu benutzen und auf der kleinen Insel zu betteln (Jodocus Deodatus Hubertus Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen).
Dinge, die sich nicht abbilden lassen: Die Wiesen vor dem Meer, die Kormorane auf den Steinen am Strand, der Himmel, der Wald voller Bärlauch, inmitten der Ostsee sein. Am Horizont die Fähre von Swinemünde nach Trelleborg. Himmelfahrt.
Der Wind legt sich. Abends ein Gespräch über die richtige Aussprache von Loitz und Koitenhagen. In den Beinen schaukelt das Schiff noch lange weiter.
Nicht verwendetes Material: F.P.1 antwortet nicht, Karl Krull, Grenzbrigade Küste, nationale Nekropole.