Kategorie: Weblog

Bootlegs, Brexit, Wasserbetten

Am Sonntagnachmittag lag ein Zettel im Briefkasten. Die Post habe mich am Donnerstag nicht angetroffen und ich solle das Paket aus England dort und dort abholen. Für 9,45 Euro Zoll und 6,00 Euro Verwaltungsgebühren. Dort und dort war eine Filiale im Gewerbegebiet am Rand der Stadt, 20 Minuten mit dem Fahrrad, zwischen dem McDonald’s und dem Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Der McDonald’s hatte Essen nur zum Mitnehmen und der Königreichssaal sah etwas verlassen aus, aber das muss nichts heißen.

Die Postfiliale war in einem einem Laden für Schreibwaren und Wasserbetten untergebracht. Der Laden war fast dunkel und sie hatten die Regale mit den Schreibwaren und die Wasserbetten notdürftig mit Bändern abgesperrt. Eigentlich war nur die Lampe über dem Tresen an, hinter dem die Pakete aufgestapelt waren, sie leuchtete wie über einer Kanzel.

Ich orientierte mich und eine der beiden Verkäuferinnen zog sich die Maske hoch und schlüpfte hinter den Tresen. Ich schob den Zettel unter der Plexiglasscheibe hindurch und zählte das Geld daneben auf den Tisch. Die Verkäuferin wünschte mir viel Spaß mit den Schallplatten und gab mir das Paket. Ich hatte noch fragen wollen, warum ich das Paket nicht selbst vom Zoll habe abholen dürfen oder weshalb ich nicht wenigstens vorher gefragt worden sei, ob ich das wolle, aber eigentlich war ich ganz froh darüber, weil das Zollamt in Wolgast ist und das wäre eine Reise mit dem Zug gewesen.

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz herzlich für den Brexit bedanken.

Rewind Ringo (6)

Bad Boy lässt mich ratlos zurück. Ich höre mir für dieses Projekt die Platten mehrfach an, nicht nur nebenbei, sondern durchaus mit einiger Aufmerksamkeit, schließlich will ich danach noch etwas dazu schreiben. Und manche von Ringos Platten höre ich auch einfach so, gewissermaßen freiwillig, das brachte mich ja erst auf die Idee zu dieser Serie.

Also Bad Boy habe ich jetzt bestimmt zehn Mal gehört und das hätte ich nicht getan, wenn sich das Album nicht gut anhören ließe. Aber ich verstehe noch immer nicht, was Ringo damit wollte. Immerhin, der Ausflug in Disco ist wieder vorbei. Die Platte ist sauber produziert, die Musiker machen ihre Arbeit, Ringo trifft die Töne. Wir sind noch immer in den Siebzigern (1978) und die Songs klingen zum Glück auch so. Die Arbeit mit Vini Poncia wird fortgesetzt, zusammen schreiben sie zwei Songs, darunter den Opener Who Needs a Heart, der mir gut gefällt. Das einzige Problem des Songs: Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wenn er vorbei ist. So ähnlich geht es mir mit der ganzen Platte. Ringo spielt neben den beiden neuen Stücken acht Standards, alle gut ausgesucht, er hat einen angenehmen Musikgeschmack und kennt seine Sachen. Und klar, Where Did Our Love Go ist ein wunderbarer Song, aber warum singt Ringo diese Nummer? Sollte er das nicht lieber den Supremes überlassen? Können sie das nicht besser als er?

Ich nehme an, Ringo wollte einfach seinen auslaufenden Plattenvertrag erfüllen und anschließend auf einem Sessel vor dem Studio auf den Bahamas sitzenbleiben, mit einem Glas in der Hand und auf den Ozean gucken.

Rewind Ringo (5)

Wir kommen bei der Durchsicht von Ringos Repertoire langsam in unbekannte Gewässer. Auf Ringo the 4th verändert er das eingefahrene Schema. With a Little Help from My Friends ist erstmal vorbei. Auf der Platte sind keine Ex-Beatles mehr. Die meisten Stücke sind von Starkey – Poncia, mit Vini Poncia hatte Ringo auch in den Jahren zuvor ein paar Songs geschrieben. Ringo the 4th ist zur Hälfte der Versuch, ein Album mit Disco zu machen — es war schließlich 1977 und Ringos Leben bestand vor allem aus Partys, Alkohol und Drogen. Aber Ringo dabei zuzuhören, wie er sich, unterstützt von zwei freundlichen und vor allem melodiesicheren Backgroundsängerinnen, durch ein paar Disco-Nummern kämpft, weckt schmerzhafte Assoziationen von einem missglückten Abend in einer Karaoke-Bar, bei dem niemand klatscht.

Immerhin, das Album ist von Hand eingespielt, richtige Menschen machen mit richtigen Instrumenten richtige Musik, und Ringo hat phantastische Musiker versammelt. Es ist Disco, aber es ist nicht leblos. Es ist ein guilty pleasure, wenn man möchte.

Trotzdem gibt es auch hier ein paar Sachen, die ich sehr gern höre. Wings ist solider Reggae mit einer Melodie, die bei mir hängenbleibt und einer wundervollen Gitarre von David Spinozza. Auch Ringo muss an diesem Song noch immer etwas finden, er hat ihn jedenfalls 2012 noch einmal aufgenommen. It’s No Secret ist entspannte Tanzmusik, die man mit fortschreitendem Alter ohne weiteres auf einer Geburtstagsfeier auflegen könnte. Doch am meisten mag ich Gave It All Up, eine Ballade, in der Ringo eine Geschichte von Verlusten erzählt. Ein klares, schönes Lied, er kann es also noch. Und in der Auslaufrille der ersten Seite ist ein kleines endloses Hörstück versteckt, solche Späße gefallen mir ja. Es ist komischerweise noch nicht in der Wikipedia vermerkt, wahrscheinlich hat noch niemand so lange durchgehalten.

Das Cover würde man heute wahrscheinlich auch nicht mehr machen. An dieser Stelle kein Wort über die Rückseite.