Kategorie: Schreibtisch

Harry Martinson: Aniara

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Der Leitende Astronom zeigt uns das Bild
einer Galaxie, die sich entfernt,
und viele fallen auf die Knie und
beginnen zu beten: Nähere uns wieder an, o Herr!
Sie gehören zur galaktischen Gemeinschaft.
Als ich sie beten sehe, erinnere ich mich an
die Beschreibung der großen Hochebene Doraima
durch die Schwester Nobia.
Die Nachbargalaxie von Andromeda scheint dort
in klaren Nächten kunstvoll vergrößert
– von den Dächern der acht Städte aus zu sehen –
aus einem kilometerbreiten Riesenspiegel zu leuchten,
gleichsam ein Goldfisch für die Leute von Doraima.

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Die Galaxie schwingt im Kreis
wie ein Rad aus leuchtendem Rauch.
Der Rauch, das sind die Sterne.
Sonnenrauch.
Wir haben kein anderes Wort, deshalb sagen wir Sonnenrauch,
verstehst du.
Die Sprachen genügen nicht mehr,
für das, was unsere Sinne aufnehmen.

Die größte Sprache, die wir kennen,
Xinombrisch, hat drei Millionen Wörter,
aber die Galaxie, die du gerade ansiehst,
hat mehr als neunzig Milliarden Sonnen.
Gab es jemals ein Gehirn, das alle Wörter
aus der Sprache Xinombras kannte.
Kein einziges.
Jetzt verstehst du.
Und verstehst nicht.

Übertragen nach Harry Martinson: Aniara (Stockholm 2004)

Gunnar D. Hansson: Olunn

Olunn.
Und vor Olunn irgendetwas anderes.
Etwas zwischen Mund und Fingern vielleicht.
Wie ein Schatz, der auf Grund gesunken ist,
aus Gold, aus Silber.
Seeungeheuer schwimmen um ihn herum, ohne Taucherglocke.
Ein Schatz, der immer in Bewegung ist.
Wie sieht der Tod
für jemanden aus, der niemals still ist,
der niemals ruht, der niemals aufgibt,
nur um einmal betrachtet zu werden?
Jemandem hinterherzujagen
der im Wasser aufscheint
und aus Gold oder Silber sein kann,
aber nicht aus Gold oder Silber ist.
Einmal wurde vor Styrsö ein Lehrer aufgefressen.
Er hätte nicht allein baden gehen sollen.

Übertragen nach Gunnar D. Hansson: Olunn (Stockholm 1989). Olunn ist eine altnordische Bezeichnung für die Makrele.

Kjell Hjern: Ein Traum

Ich der Nacht träumte ich von einem alten Freund,
der vor kurzem gestorben war.
Ich saß auf einer Bank und sah auf Hagaplan,
dort, wo die Schulmädchen Brennball spielen,
als er plötzlich den Weg entlangkam,
auf einen Spazierstock mit Silberknauf gestützt,
im Mund eine neue Flor de Brazil.

„Bist du nicht tot“, fragte ich bestürzt,
als er stehenblieb und grüßte.
„Doch“, sagte er und grinste vergnügt,
„aber die Beerdigung ist erst am Samstag.“

Er verabschiedete sich mit dieser geheimnisvollen Miene,
die er stets aufsetzte, wenn man ihn fragte,
wo er den Abend verbringen werde
und er dir vormachen wollte,
er wäre in guter Gesellschaft.

Der Flieder duftete. Bevor er hinter den Bäumen verschwand,
wies er mit dem Stock hoch zum Himmel, der blau und wolkenlos war.
Ich nickte, um zu bedeuten, dass ich längst im Bilde sei.
Er war vollkommen selbstsicher, bis heute frage ich mich,
ob er der Einsamkeit tatsächlich so ausgeliefert war,
wie ich wusste, dass er es sein würde.

Übersetzt nach Kjell Hjern: Kalifens guldfågel (Stockholm 1959)