Kategorie: Schreibtisch

Kjell Hjern: Bulletin

Sicherlich, er hatte mich schon einmal erschreckt, aber weil mir meine Ehefrau eingeschärft hatte, dass ich oftmals allzu abweisend zu den Menschen wäre, die ich ohne Weiteres als meine Freunde akzeptieren würde, setzte ich mich neben ihn auf die Bank, auf der er saß und auf die Straßenbahn wartete. Vielleicht waren meine Nerven nicht ganz in Ordnung, damals, als ich ihn so irritierend fand. Jetzt schien er mir eine ungefährliche Figur zu sein, so wie er dort saß, eine Baskenmütze im Genick, und in die Sonne blinzelte.

Nachdem wir einige Worte über das wechselhafte Sommerwetter ausgetauscht und darüber nachgesonnen hatten, dass der Flieder verblüht war, musterte er mich indessen und sagte herausfordernd: Du hast wohl abgenommen?

Da meine Leibesfülle zu den Dingen gehört, die ich gern revidieren würde, hätten mich seine Worte vielleicht erfreut, wenn sie von jemand anderem gekommen wären. So beunruhigten sie mich und ich versuchte, zu einem neuen und neutraleren Gesprächsthema überzuleiten.

Aber seine Konversation, die in einem munteren und ungezwungenen Ton gehalten war und durchscheinen ließ, dass er eines starken Mitgefühls mächtig war, folgte mit Eifer ihren eigenen Pfaden. Ich hatte mich in ihm nicht getäuscht. Er verlautbarte ein Bulletin über den Gesundheitszustand des schwedischen literarischen Olymp. Zunächst in groben Zügen, danach immer detaillierter.

So wie es Bücherfreunde gibt, die ihre Vorlieben haben und beispielsweise Kochbücher oder Bücher über Navigation sammeln, hatte dieser Kenner des schwedischen Schriftstellerkorps sein eigenes Gebiet. Er hielt sich über die Leiden unterrichtet, welche die Dichter in Thule heimsuchten und wie auch immer er seine Mitteilungen erhielt, er schien eingeweiht zu sein.

Er wusste, wer gerade in Beckomberga und Lillhagen aufgenommen war, aber verschmähte auch einen Gelenkrheumatismus oder ein blutendes Magengeschwür nicht.

Als die Straßenbahn kam, sah ich zu, dass uns das Gedränge auf dem Bahnsteig voneinander trennte, weil sich alles in mir gegen die Flut aus Blut und Eiter und Alkohol wehrte, die er mit seinen Worten heraufbeschwor.

Das liebenswerte weltmännische Lächeln, um das ich mich zum Tribut an die Klugheit meiner Ehefrau bemüht hatte, welkte dahin und nachdem ich aus dem Wagen ausgestiegen war, untersuchte ich mich im erstbesten Spiegel und fragte mich etwas ängstlich, ob es einen Anlass zu der Annahme gab, dass ich in der näheren Zukunft zu einer Nummer in seinem Katalog werden würde. Wenn man nur genug nachspürt, gibt es immer einige Stellen, die vom Verschleiß der Jahre schmerzen.

Mein Unwillen, Aufmerksamkeit zu wecken, hinderte den Impuls, die Zunge herauszustrecken und nachzusehen, ob sie belegt war, aber auf dem Weg durch die Stadt fiel mein Blick häufiger als gewöhnlich in die Schaufenster, die mein Spiegelbild zurückwarfen, manchmal dünner, manchmal runder als es vielleicht richtig normal ist.

Übersetzt nach Kjell Hjern: Neros ansikte (Stockholm 1960). Beckomberga und Lillhagen waren psychiatrische Kliniken in Stockholm und Göteborg.

Harry Martinson: Aniara

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Der Leitende Astronom zeigt uns das Bild
einer Galaxie, die sich entfernt,
und viele fallen auf die Knie und
beginnen zu beten: Nähere uns wieder an, o Herr!
Sie gehören zur galaktischen Gemeinschaft.
Als ich sie beten sehe, erinnere ich mich an
die Beschreibung der großen Hochebene Doraima
durch die Schwester Nobia.
Die Nachbargalaxie von Andromeda scheint dort
in klaren Nächten kunstvoll vergrößert
– von den Dächern der acht Städte aus zu sehen –
aus einem kilometerbreiten Riesenspiegel zu leuchten,
gleichsam ein Goldfisch für die Leute von Doraima.

85

Die Galaxie schwingt im Kreis
wie ein Rad aus leuchtendem Rauch.
Der Rauch, das sind die Sterne.
Sonnenrauch.
Wir haben kein anderes Wort, deshalb sagen wir Sonnenrauch,
verstehst du.
Die Sprachen genügen nicht mehr,
für das, was unsere Sinne aufnehmen.

Die größte Sprache, die wir kennen,
Xinombrisch, hat drei Millionen Wörter,
aber die Galaxie, die du gerade ansiehst,
hat mehr als neunzig Milliarden Sonnen.
Gab es jemals ein Gehirn, das alle Wörter
aus der Sprache Xinombras kannte.
Kein einziges.
Jetzt verstehst du.
Und verstehst nicht.

Übertragen nach Harry Martinson: Aniara (Stockholm 2004)

Gunnar D. Hansson: Olunn

Olunn.
Und vor Olunn irgendetwas anderes.
Etwas zwischen Mund und Fingern vielleicht.
Wie ein Schatz, der auf Grund gesunken ist,
aus Gold, aus Silber.
Seeungeheuer schwimmen um ihn herum, ohne Taucherglocke.
Ein Schatz, der immer in Bewegung ist.
Wie sieht der Tod
für jemanden aus, der niemals still ist,
der niemals ruht, der niemals aufgibt,
nur um einmal betrachtet zu werden?
Jemandem hinterherzujagen
der im Wasser aufscheint
und aus Gold oder Silber sein kann,
aber nicht aus Gold oder Silber ist.
Einmal wurde vor Styrsö ein Lehrer aufgefressen.
Er hätte nicht allein baden gehen sollen.

Übertragen nach Gunnar D. Hansson: Olunn (Stockholm 1989). Olunn ist eine altnordische Bezeichnung für die Makrele.