Einberufung

Und dann stand ich ganz allein auf dem Hof des Wehrkreiskommandos.

Es war der 1. November 1989. Ich war frühmorgens mit dem Bus nach Ribnitz gefahren, den Einberufungsbefehl zum Ehrendienst in der Tasche, um für die kommenden 18 Monate Personalausweis und Zivilkleidung gegen eine Hundemarke und eine Uniform einzutauschen. Kein guter Tausch, aber immerhin: gegen eine blaue Uniform.

Eigentlich war ich für eine grüne Uniform vorgesehen: Bereitschaftspolizei in Stralsund. Nicht nur, dass die Uniformen hässlich waren, die Leute auf der Straße hielten dich auch noch für einen Volkspolizisten statt für das arme Schwein, das seinen Grundwehrdienst machen musste. Aber vor ein paar Wochen hatten sie mich noch mal einbestellt, »zur Klärung eines Sachverhalts«, in das Wehrkreiskommando, auf dessen Hof ich jetzt stand. Ich hätte die Sache mit meinem Bruder ja sicher gehört und obwohl es ja kein politischer Antrag sei, sondern aus … humanitären Gründen, würde ich doch sicher verstehen, dass ich unter diesen Umständen – und das sei keine Sippenhaft – natürlich nicht, aber eben doch eine enge familiäre Bindung … nicht mehr zur Bereitschaftspolizei, die doch in mancherlei Hinsicht besondere Anforderungen … jedenfalls sei ich jetzt für die Volksmarine vorgesehen. Ich war nicht gerade unglücklich über diese bürokratische Wendung, machte aber sicherheitshalber trotzdem ein ernstes Gesicht.

Und jetzt stand ich auf dem Hof, in der Jacke der Personalausweis, zwischen den Füßen die Sporttasche mit meinen Sachen. Alle anderen waren schon aufgerufen worden und in ihre »Einheiten weggetreten«. Offenbar war ich versehentlich aus der grünen Liste gestrichen und in die blaue Liste noch nicht aufgenommen worden. Für eine Sekunde glomm die vage Hoffnung auf, irgendwie durchgeschlüpft zu sein. Der Offizier kam auf mich zu.

– Wer sind Sie denn?
– Also wenn ich nicht gebraucht werde, kann ich auch wieder gehen.
– Ihren Namen, Genosse!

Es war ganz klar nicht der richtige Zeitpunkt, um Witze zu machen. Der Offizier ging in sein Büro und nach fünf Minuten stand ich bei den anderen armen Schweinen, die zum Rügendammbahnhof fuhren und dann auf den Dänholm marschieren mussten, um die blaue Uniform anzuziehen.

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[…] ist alles ganz klein: der Bahnhof Rügendamm, an dem ich ein paar Monate lang aussteigen musste, der Dänholm, auf dem ich marschieren lernte und der alte Rügendamm: der graue Verwandte aus dem […]

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