Schlagwort: Militär

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Im Juni 1986 saßen wir in einer Barackensiedlung in einem Wald auf Rügen. Ende der 9. Klasse, GST-Lager, vormilitärische Ausbildung. Tschernobyl war noch immer ein Thema, obwohl wir nicht genau wussten, was dort eigentlich passiert war. Es wurde fast nichts berichtet. Trotzdem lief das Gerücht herum, dass die Reaktoren im Kernkraftwerk Lubmin, nur 20 Kilometer von uns, baugleich seien.

Mein Schulfreund schrieb vor Langeweile den Text von Wolf Maahns Deserteure in sein Arbeitsheft und als der Offiziersschüler, der uns ausbilden sollte, das sah, schrie er ihn an: Ob er überhaupt wisse, was das sei. Dann wandten wir uns alle zusammen wieder der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko zu. Wir hatten keine Ahnung, was los war.

Im Sommer kam dann Tschernobyl (das letzte Signal) von Wolf Maahn heraus. Noch so ein Songtext, den wir auswendig kannten.

– Kommentar zu Wald und Höhle

Im Juni und davor

Im Pommerschen Landesmuseum läuft »Zwei Männer – ein Meer«. Auf dem Boden der Museumstraße ist meterlang die Küstenlinie der Ostsee mit den Badeorten aufgemalt, die Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein besucht haben. Nidden, Jershöft, Leba, Rumbke, Rowe, Ückeritz, Sierksdorf. Eine Rückwärtsbewegung in westlicher Richtung: Ostpreußen, Hinterpommern, Vorpommern, Holstein. Auf dem Weg in die Ausstellung läuft man die Karte gegen die Zeit entlang. Die Bildergalerie hängt voller Verlustanzeigen.

Es dauert tatsächlich keine 24 Stunden, den Marsianer durchzulesen. Nicht ohne Interesse, aber ohne große Spannung, so wie man einen Blockbuster sieht, weil man eine Kinokarte gekauft hat und eigentlich ganz bequem sitzt. Am Ende wird er schon irgendwie auf die Erde zurückkehren. Eine Heimwerkergeschichte, eher Bedienungsanleitung als Robinsonade.

Die Erinnerung an meine frühere Präsidentin, die mich einmal fragte, ob ich in einer Partei sei. Heutzutage werde ja fast alles nach Partei vergeben, schrecklich. In Großbritannien gingen die Richter noch nicht einmal zur Wahl, dass sei vielleicht ein wenig antiquiert und übertrieben, aber in einer Partei solle man nicht sein.

Aber was ist das gegen meine Arbeitswut im geliebten Pommern, ich komme nicht darüber hinweg. Ich zapple hin und wieder sehr, und sehne mich unentwegt danach, und hoffe doch es noch einmal zu erleben, einmal wieder hinauffahren zu können (MP).

Die Erinnerung an die Tage auf dem Exerzierplatz, auf der Ostseite des Dänholms, hinter der Baumreihe der Strelasund. Der Moment, in dem der gesamte Zug im Gleichschritt war, dem Vordermann im Nacken, im Nacken den Hintermann und auf eine angenehme Weise das Denken aufhörte, nur noch das gleichmäßig unendliche Geräusch der Stiefel auf den Betonplatten.

Der Mann in der Werkstatt hat das Auto angehoben und wir haben es uns zusammen von unten angesehen. Der Unterboden des Autos und ich haben viele Gemeinsamkeiten.

In den Ritzen zwischen den Terrassenplatten wachsen schwedische Walderdbeeren, tapfere Nachfahren der drei Pflanzen, die wir vor Jahren mal in Småland ausgegraben haben.

Wenn ich Rentner bin, ziehe ich nach England und gucke den ganzen Sommer lang County Cricket.

Löwen, Elefanten.

Einberufung

Und dann stand ich ganz allein auf dem Hof des Wehrkreiskommandos.

Es war der 1. November 1989. Ich war frühmorgens mit dem Bus nach Ribnitz gefahren, den Einberufungsbefehl zum Ehrendienst in der Tasche, um für die kommenden 18 Monate Personalausweis und Zivilkleidung gegen eine Hundemarke und eine Uniform einzutauschen. Kein guter Tausch, aber immerhin: gegen eine blaue Uniform.

Eigentlich war ich für eine grüne Uniform vorgesehen: Bereitschaftspolizei in Stralsund. Nicht nur, dass die Uniformen hässlich waren, die Leute auf der Straße hielten dich auch noch für einen Volkspolizisten statt für das arme Schwein, das seinen Grundwehrdienst machen musste. Aber vor ein paar Wochen hatten sie mich noch mal einbestellt, »zur Klärung eines Sachverhalts«, in das Wehrkreiskommando, auf dessen Hof ich jetzt stand. Ich hätte die Sache mit meinem Bruder ja sicher gehört und obwohl es ja kein politischer Antrag sei, sondern aus … humanitären Gründen, würde ich doch sicher verstehen, dass ich unter diesen Umständen – und das sei keine Sippenhaft – natürlich nicht, aber eben doch eine enge familiäre Bindung … nicht mehr zur Bereitschaftspolizei, die doch in mancherlei Hinsicht besondere Anforderungen … jedenfalls sei ich jetzt für die Volksmarine vorgesehen. Ich war nicht gerade unglücklich über diese bürokratische Wendung, machte aber sicherheitshalber trotzdem ein ernstes Gesicht.

Und jetzt stand ich auf dem Hof, in der Jacke der Personalausweis, zwischen den Füßen die Sporttasche mit meinen Sachen. Alle anderen waren schon aufgerufen worden und in ihre »Einheiten weggetreten«. Offenbar war ich versehentlich aus der grünen Liste gestrichen und in die blaue Liste noch nicht aufgenommen worden. Für eine Sekunde glomm die vage Hoffnung auf, irgendwie durchgeschlüpft zu sein. Der Offizier kam auf mich zu.

– Wer sind Sie denn?
– Also wenn ich nicht gebraucht werde, kann ich auch wieder gehen.
– Ihren Namen, Genosse!

Es war ganz klar nicht der richtige Zeitpunkt, um Witze zu machen. Der Offizier ging in sein Büro und nach fünf Minuten stand ich bei den anderen armen Schweinen, die zum Rügendammbahnhof fuhren und dann auf den Dänholm marschieren mussten, um die blaue Uniform anzuziehen.