Im Führerstand

Der Zug nach Velgast fährt erst in zehn Minuten und der Lokführer kommt auf den Bahnsteig, um zu rauchen. „Drinnen ist es noch wärmer als draußen“, sagt er und ich stelle mich zu ihm. „Ohne Sie können wir ja nicht abfahren.“ Wir kommen ins Gespräch, über den alten Barther Bahnhof, den Güterbahnhof, die Elektrifizierung der Strecke in den achtziger Jahren, den Abbau der Elektrifizierung in den neunziger Jahren, über den alten Fahrplan mit den Fernzügen nach Erfurt und mit dem Ferkeltaxi nach Velgast am Freitagnachmittag, über die Darßbahn. „Die Militärzüge nach Bresewitz bin ich noch gefahren.“

Wir steigen ein und als ich mich hinsetzen will, winkt er mich nach vorn: Führerstandsmitfahrt, das erste Mal in meinem Leben. Ich versuche meine Aufregung zu verbergen und lasse ihn erzählen, über die Reste der alten Waschanlage neben den Gleisen, den Wasserturm in Velgast (letzter Einsatz einer Dampflok etwa 1982), den Kenzer Berg („Die Strecke war nur für 50 km/h zugelassen, aber mit dem Güterzug musste man Anlauf nehmen, wir sind das damals mit der Mütze auf dem Tacho gefahren“), das Essen in der Barther Mitropa („60 Pfennig mit Essenmarke“), über die Tiere an der Strecke, die Rehe am Waldrand, den Dachs, die Wildschweine, das von der Sonne aufgewärmte Gleisbett, das die Wildtiere mögen. Als es zu regnen beginnt, fährt er langsamer. „Wenn es nass wird, löst sich der Rost und dann rutscht der Zug beim Bremsen, der hat dann soviel Widerstand wie eine Gurke, die durch den Gurkenhobel rauscht.“

Dann sind wir schon da, ich muss in Velgast umsteigen. Beim Aussteigen bin ich wieder zwölf Jahre alt.


8 Kommentare

  • Soll ich mit 9€ Ticket eher nach
    ( ) Brandenburg an Havel
    ( ) Greifswald
    ( ) Görlitz
    ( ) Velgast
    ( ) Wolgast

    Sie sind doch Ostdeutscher und können da vielleicht kleinen Ratschlag geben?!? Würde auch gern Rehe + Dachse sehen..Wildschweine – kann aber muss nicht unbedingt.

    • Brandenburg und Görlitz kann ich nicht beurteilen, dort war ich (wahrscheinlich) noch nicht.

      In Greifswald wohnen die Wildschweine in der Stadt, es gibt sogar einen Mitarbeiter der Stadt, der sich mit ihnen beschäftigt und sie zu überzeugen versucht, wieder auf dem Land zu wohnen, aber auf eine nette Art und Weise. Die Wildschweine sind aber kluge Tiere und wollen lieber da wohnen, wo es keine Jagd auf sie gibt, kann man auch wieder verstehen.

      Rehe: Klar die Strecke nach Wolgast, bei Buddenhagen gibt es immer welche, bin dort aber noch nicht ausgestiegen. Hinter Wolgast beginnt auch gleich Usedom (Ostsee … sehr viele Menschen im Sommer).

    • Als Westdeutsche empfehle ich Ihnen, nach Görlitz, Greifswald und Wolgast zu fahren. Schauen Sie sich in Wolgast unbedingt auch den Totentanz an, der ist herrlich. Mein Favorit war die Skelettcombo.

      In Görlitz gibt es viel zu gucken, wenn Sie können, planen Sie ruhig ein Wochenende ein. Schon die denkmalgeschützte Empfangshalle des Bahnhofs ist sehr schön. Erschrecken Sie nur bitte nicht, wenn Sie aus dem Bahnhof herauskommen – die Stadt ist sonst wunderbar restauriert. Über die Altstadtbrücke können Sie nach Polen schlendern. Als ich 2004 mit der besten Freundin dort war, war die Brücke leider noch nicht fertig. Vor ein paar Jahren reiste die beste Freundin mit ihrem Ehemann nochmals nach Görlitz und schrieb mir begeistert, die Stadt sei inzwischen noch schöner geworden.

      Es gibt mittlerweile Filmführungen durch die Stadt, weil dort schon mehr als 100 Filme gedreht wurden. Dazu zählen etwa „Der Vorleser“ oder „Die Vermessung der Welt“. Das Kaufhaus Görlitz wurde zum „Grand Budapest Hotel“ im gleichnamigen Film von Wes Anderson und der Untermarkt diente als Kulisse für einige Szenen von „Inglourious Basterds“.

      Falls Sie in Greifswald Hunger oder Durst bekommen: Ich mochte bei meinen beiden Reisen nach Greifswald das inklusive Café und Restaurant „Lichtblick“ in der Nähe des Marktplatzes sehr. Es gibt dort auch einen Hinterhof, wo man draußen sitzen kann. Nebenan ist ein Laden der Greifenwerkstatt, ich kaufte mir dort ein schönes Mobile aus Keramik, das noch heute in meinem Badezimmer hängt.

      Brandenburg an der Havel ist auch ganz hübsch, Velgast hingegen kenne ich nicht.

    • Sehr gern. Ich bin die Strecke unzählige Male gefahren, aber der Blick nach vorn war eine ganz neue Perspektive.

    • Kann ich mir gut vorstellen.

      Die beste Freundin und ich bekamen auf unserer Reise nach Görlitz vom Zugbegleiter ein Upgrade in die erste Klasse, weil im Zug nach Dresden der Waggon fehlte, in dem unsere Plätze reserviert waren. Wir saßen direkt hinter dem Führerstand und ich konnte durch die Glastür auch ein bisschen nach vorne herausschauen. Aber im Führerstand selbst ist das bestimmt nochmals etwas anderes, zumal mit all den Geschichten, die Ihnen der Lokführer erzählte.

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