Klagefall

Kurzmitteilungen

Das erste Album von Suede war eine prägende Erfahrung für mein spät-jugendliches Selbst. Ich habe die Platte damals sehr viel gehört. Kein einziger schwacher Song, ein begabter Auftritt der Söhne von The Smiths und David Bowie. Gleich danach habe ich die Band aus den Augen verloren.

Vorletzten Sonntag spielten sie in Berlin in der erstaunlich kleinen Columbiahalle. Zur Vorbereitung hatte ich mir ein paar Platten gekauft. Brett Anderson schafft die hohen Töne nicht mehr, aber die Energie und Magie waren trotzdem noch da. Und das Virus, leider.

Ich habe einen Pullover, der mir passt. Er hat eine angenehm unauffällige Farbe, knistert nicht und kommt aus China. Mein Kopf geht gut durch die Öffnung, die Ärmel sind lang genug, mein Bauch ist bedeckt und meine Schultern finden darin ausreichend Platz. Ich kann den Pullover leider nicht mehr in der Öffentlichkeit tragen. Er ist an mehreren Stellen gerissen und an den Ellenbogen durchgescheuert. Es gibt das Modell auch nicht mehr zu kaufen. Ab und zu bestelle ich im Internet Pullover, die so ähnlich oder sogar identisch aussehen, aber dann nicht richtig passen. Ich hätte damals gleich eine größere Nachbestellung aufgeben müssen, als ich damit so glücklich war. Bei den Schuhen auch. Schuhe sind wahrscheinlich noch wichtiger als Pullover. Wenn man etwas gefunden hat, das einem passt, muss man sich bevorraten. Seit einigen Wochen trage ich den Pullover auch beim Schlafen, in diesen kalten Nächten. Solange ich den Pullover anhabe, kann mir nichts passieren.

In diesen Tagen die Erinnerung an den Augustputsch von 1991, als plötzlich eine Bankreihe voller Untoter im Fernsehen auftauchte, in schlechtsitzenden Uniformen und mit verlebten Gesichtern. Sie sahen wie Abgesandte eines gerade vergangenen Zeitalters aus und so sprachen sie auch. Ein schlechter Witz. Ich saß im Dachzimmer unserer alten Wohnung am Schreibtisch, blickte aus dem Fenster hinaus auf die Gärten auf der anderen Straßenseite und hörte der Weltgeschichte in meinem Kofferradio zu. Sehr schnell wurde klar, dass dieser Auftritt nur eine Fußnote bleiben würde, eine skurrile Begebenheit, ein fernes Echo. Niemand war ernsthaft beunruhigt, obwohl gerade Panzer durch Moskau fuhren und die ostdeutschen Wälder noch immer voller russischer Soldaten waren.

Es ist so ein Elend, unfassbar.