#235

Seit drei Wochen stehe ich jeden Morgen um halb sieben auf und lasse die Bauarbeiter ins Haus. Nach dem Sonnenaufgang schleiche ich mich müde ins Büro, um ihnen nicht im Weg zu sein und um dem Lärm aus dem Baustellenradio zu entgehen. Seit drei Wochen lege ich mich jeden Nachmittag hin, um den verlorenen Schlaf wieder einzufangen. Jeden Tag kosten mich die Bauarbeiter ein Vermögen, viel mehr Geld, als ich jemals verdienen könnte. Jeden Tag erfinden sie neue Dinge, die im Haus gemacht werden müssen. Inzwischen glaube ich, dass die Baustelle ein Teil meines Lebens geworden ist. Sie wird niemals fertig sein. Bald werde ich zur Bank gehen und um neuen Kredit bitten müssen und wenn ich die Zinsen dafür auch nicht mehr bezahlen kann, wird die Bank das Haus versteigern lassen. Dann werde ich ausziehen und ein Feldbett im Büro aufstellen, während die Bauarbeiter in einer unendlichen Frühstückspause an meinem alten Küchentisch sitzen und lachend ihre Stundenzettel ausfüllen.


3 Kommentare

  • Irgendwann stellst du fest, dass die Bauarbeiter eigentlich Matrosen sind und die neuen Wände nur von Knoten zusammengehalten werden. Dann rufst du richtige Bauarbeiter und alles beginnt von vorn.

  • Ja, es ist eine Erzählung, die sich zwischen Kafka, Ror Wolf und Kishons Blaumilchkanal bewegt. Die aber einen ernsten Kern enthält, denn es wird der Rahmen für ein Leiden an diesen Verhältnissen gezeichnet, „niemals fertig“.

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