Kurzmitteilungen

Seit ein paar Wochen fahre ich jeden Freitagnachmittag zum Zeitungskiosk im Möwencenter. Das Möwencenter ist ein Einkaufszentrum in einem Neubaugebiet am Stadtrand, gleich neben dem Rewe, der ganz früher die Kaufhalle Mitte war und jetzt Schwarzer Rewe heißt, weil er mal abgebrannt ist. Es ist nicht unbedingt ein Vergnügen, bei diesem Wetter fünf Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren, aber der Zeitungskiosk ist der einzige Laden in meiner Stadt, in dem man noch Perry Rhodan kaufen kann. Seit der Nummer 3300 hat die Serie einen neuen Chefautor, der hoffentlich etwas von Dramaturgie versteht und auch etwas von dem gewaltigen Überbau, den die Geschichte in den letzten Jahrzehnten angehäuft hat, abschmilzt. Ich habe das jedenfalls zum Anlass genommen, wieder mit dem Lesen anzufangen, und bisher läuft es ganz gut. Die Fahrt zum Einkaufszentrum ist ein wenig wie eine Reise auf einen anderen Planeten, hier leben andere Menschen, hier herrschen andere Gesetze. Der Kiosk ist voll von Leuten, die losen Tabak kaufen und Lotto spielen wollen. Zeitungen gibt es hier eigentlich nicht, keiner liest mehr. Jeden Freitag hoffe ich ein bisschen, dass mein Raketenheft ausverkauft ist, damit ich es endlich abonnieren und mir diesen faszinierenden Ausflug ersparen kann.

Einen ganzen Tag lang unterwegs gewesen, um zehn Minuten auf einer Fachtagung zu sprechen. Ich bin nicht gut darin. Ich kann stundenlang einen Gerichtssaal unterhalten, aber ich bin nicht gut darin, mit einem Manuskript an einem Pult zu stehen, während gleichzeitig eine Stoppuhr herunterläuft. Akademiker, Bundesrichter, Ministerialbeamte, alles nicht meine Welt. Ich gehöre da nicht hin. Ich will meine Fälle machen, ich will nicht darüber reden und schon gar nicht, wenn niemand hören will, was ich zu sagen habe. Ich will das machen, was ich gut kann.

Jenny Erpenbeck. Kairos. Ich kann verstehen, warum Jenny Erpenbeck für dieses Buch den Booker-Preis bekommen hat, sie kann eine Geschichte aufschreiben, das gefällt mir. Aber das Buch ist nicht nur die quälende Geschichte einer schrecklichen Paarbeziehung, sondern auch eine unfassbare Rechtfertigung der DDR, Erzählperspektive hin oder her. Die beiden Protagonisten sind Teil der privilegierten Kulturelite der DDR, mit Reisegenehmigungen und voller Verachtung für den Westen und die einfachen Leute. Die bleiernen letzten Jahre der DDR, die überdeutlich an ihr Ende gekommen war, bilden den Hintergrund der Handlung, sie werden von den Romanfiguren voller Selbstmitleid, mit schwülstigem Pathos und unter Verklärung der sozialistischen Gewaltgeschichte geschildert. Das ist kaum auszuhalten. Nebenbei ist das Buch schlecht recherchiert: Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn jemand nicht nachgelesen hat, wie die Schachfiguren eigentlich heißen, außerdem sollte man wissen, welche Wahl im Mai 1989 gefälscht wurde, wenn man darüber schreibt. 35 Jahre nach ihrem Untergang ist die DDR, die ein ethnisch homogener, fremdenfeindlicher, antisemitischer und antiamerikanischer Staat war, wieder zu einem positiven Bezugspunkt geworden. Wenn man wissen will, warum Putins Russland in Ostdeutschland so gefeiert wird, dieses Buch bildet die aktuelle Stimmung gut ab.