Herr Ackerbau weist auf das Vintage Obscura Radio hin. Der Stream wird (händisch) aus einem Subreddit generiert, in dem jeder Nutzer Songs vorschlagen kann, die älter als 25 Jahre sind und auf Youtube weniger als 30.000 Views haben. Vintage und obskur eben. Auf diese Art und Weise entsteht der Eindruck, einer Radiostation aus einem parallelen Universum zuzuhören. Die Musik kommt einem bekannt vor, ist aber zugleich merkwürdig fremd. Wie eine winzige Frequenzverschiebung, ein Störgefühl.
Schlagwort: Radio
Allzu oft habe ich Herrn Hattwig allerdings nicht zu Gesicht bekommen, nur wenn ich in besagter Sitzung meine Titelfolge für die geplante Sendung „Tanzmusik — zwischen Nacht und Morgen“ regelrecht zelebrieren musste. In seinem geräumigen Büro hatte der Musik-Chefredakteur ein Klavier stehen, an dem er manchmal die gesamte Konferenz über saß und einige der aufgeführten Titel kurz anspielte.
Der Leitspruch von Martin Hattwig war: „Die zusammengestellten Programme müssen wie eine Komposition klingen!“ Und dafür gab es für uns beim „Komponieren“ einige Spielregeln: das Verhältnis zwischen melodischen und rhythmischen Titeln, auch, wie sie vom Techniker „ineinander“ zu spielen waren, war zu beachten, daneben der Wechsel von instrumentalen und gesungenen Stücken — nachts sollte ohnehin nicht so viel gesungen werden –, sogar die Tonarten sollten beachtet werden.
Wolfgang Martin schreibt in Wie die Westmusik ins Ostradio kam vor allem über seine spätere Zeit bei DT64, aber das ist die Stelle, die mich am meisten berührt hat. Wieviele Menschen mit großer Ernsthaftigkeit damit beschäftigt waren, das Nachtprogramm für einen Sender zusammenzustellen, mit vier Wochen Vorlauf, es gab sogar einen Redaktionsschluss. Radiomenschen, großartig, ich habe Sehnsucht nach dieser Zeit. Heute macht das ein Algorithmus.
Große Aufregung im Internet: Heute morgen hat sich offenbar jemand im Radio dagegen ausgesprochen, an Grundschüler Tablets auszuteilen. Wobei Aufregung inzwischen nicht mehr »Ich bin anderer Meinung, und zwar aus folgenden Gründen«, sondern »Warum darf dieser Typ überhaupt im Deutschlandfunk reden? Schafft ihn weg!« bedeutet.
Ich musste an die Geschichte eines Freundes denken, der berufsbedingt den Wissenschaftsbetrieb in der Mathematik perfekt kennt und viele Jahre in Berufungskommissionen und ähnlichen Gremien gesessen hat. Er erzählte, dass es in einer Probevorlesung genau zwei Typen von Mathematikern gebe. Die einen klappten einen Laptop auf und zeigten eine Präsentation. Die anderen stellten sich mit einem Stück Kreide an die Tafel und schrieben diese nach und nach voll. Die Guten seien immer die mit der Kreide.
Vielleicht können wir uns auch nur deshalb so kompetent über den Mann aus dem Radio aufregen, weil wir zur Schule gegangen sind, als es dort noch keine Smartboards und Tablets gab?