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Am Weststrand

Der Weststrand ist nicht mehr da. Nicht mehr da, wo er sonst war. Die letzten Meter vom Fahrrad springen, den Weg auf die kleine Düne hinauflaufen, die kleine Steilküste hinunterspringen, über den schmalen Strand in die Ostsee hineinlaufen, ein Wettrennen mit meinem Bruder, wie lange ist das her, zehn Jahre oder zwanzig. Der Wind hat inzwischen eine breite Düne zusammengeweht und auch der Strand hat sich verdoppelt. Woher kommt der ganze Sand? Wie dynamisch kann so eine Küste eigentlich sein?

Was ein verborgener Strand war, der am Ende des langen Weges durch den Darßwald lag, am Friedhof vorbei, an der großen Wiese mit den Rehen, über Peters Kreuz, durch den Buchenwald, über den Großen Stern und die geheime Strecke mit der kleinen Brücke entlang, ist inzwischen ein Platz für Menschen mit Strandmuscheln und elektrischen Fahrrädern geworden. Warum auch nicht. Es ist Pfingstmontag und die Leute müssen mal wieder an die Luft.

Arzttermin. Die Warteschlange vor der Arztpraxis reicht die halbe Treppe runter. Es ist noch stiller als sonst, alle sind mit Atmen beschäftigt.

Die Schwester am Tresen erkennt mich nicht. Ich darf als Erster in den Ergometerraum und auf dem Fahrrad darf ich sogar die Maske abnehmen. Alle sind gut zu mir. Die Schwester erzählt von ihren Kindern, der und der darf dann und dann in den Kindergarten und in die Schule, alle vermissen ihre Freunde. Ab 150 Watt höre ich auf zu antworten. Der Erwartungswert ist 225 Watt, ich bin froh, als ich so weit komme. Kein Ehrgeiz für weitergehende Experimente.

Ich male mir jedes Mal vorher aus, wie sie mich dabehalten. Oh, Herr K., da ist etwas auf dem EKG, muss nichts Schlimmes sein, aber das muss abgeprüft werden, nur zur Sicherheit, Sie verstehen das sicher. Heute aber nicht, der Arzt ist zufrieden. Ich frage ihn nach dem Virus und bemerke, wie fein er sprachlich zwischen Risikogruppe und Hochrisikogruppe differenziert. Zur Hochrisikogruppe gehörte ich nicht. Das Wichtigste seien diese Dinger hier, sagt er und zeigt auf sein Gesicht. Aber wenn die Touristen das im Sommer mitbringen, bekäme er es sowieso als Erster. Passen Sie auf sich auf, sagt er und ich will am liebsten Sie auch! antworten.

Als der Hagel kam, mit kalten, spitzen Körner, die auf meine Kopfhaut trommelten, als sich die Leute unter das Vordach des Discounters drängten, als mir auf dem Fahrrad der Nordwestwind entgegenkam und der voll beladene Anhänger an der Kupplung zog, als meine Klamotten langsam nass wurden, da dachte ich: Scheiß auf das Wetter, ich habe an diesem Samstagvormittag den Baumarkt überlebt, die Schlange vor den Einkaufswagen, den Einweiser am Eingang, die verdammte Maske und die beschlagenen Brillengläser, die Schlange an der Kasse, den Einweiser am Ausgang, der da stand wie ein Heiliger, wie ein Verkehrspolizist mitten auf der Kreuzung und der die Menschenströme mit ein paar Armbewegungen teilte, ich habe die Farbe gefunden, die ich brauchte, und das Vogelfutter in der Gartenabteilung ganz am Ende, mich hat niemand über den Haufen gerannt und die ganze Zeit habe ich weitergeatmet und keine Panikattacke gekriegt in diesem Baumarkt am Samstagvormittag, ich bin über den ganzen Parkplatz von diesem hässlichen Einkaufszentrum gefahren, ohne irgendwo mit dem Fahrradanhänger hängenzubleiben, da ist der Hagel ja wohl das kleinste Problem und eigentlich ist es doch ganz schön so, allein und draußen an der Luft.