Schlagwort: Muckibude

Im November

Unruhe wegen eines Freundes, von dem ich seit vielen Jahren nichts mehr gehört habe. Ich gehe zu dem Haus, in dem seine Familie längst nicht mehr wohnt. Aber unter dem Dach ist Licht. Als ich an der Tür klingele, öffnet sein Bruder. So lange hätte ich mich nicht gemeldet und nun sei es auch zu spät. Er macht mir Vorwürfe, mir fehlen die Argumente. Aufgewacht.

Auf der Straße eine 20-Cent-Münze gefunden, es glänzte in der Sonne wie Goldstück. Das soll mir Glück bringen.

Im Büro stehen Änderungen bevor. Es wird auch höchste Zeit. Mir fehlt inzwischen die Kraft für Auseinandersetzungen, die zu nichts führen können. Auch eine Sache, die sich verändert hat: Ich will mich um so etwas nicht mehr kümmern oder ich kann es nicht mehr, eins von beiden.

Unbeantwortete Mails, nicht erledigte Anrufe, steckengebliebene Kommunikationen. Ich bin so schlecht in diesen Dingen, ich schaffe es noch nicht einmal, meine Freundschaften zu pflegen.

Ich vernehme eine Psychologin als Zeugin. Beim Rausgehen wünscht sie mir Alles Gute! Respekt, ich fühle mich durchschaut.

Alle in der Klinik bekamen einmal während ihres Aufenthalts den Chefarzt zu sehen. Er stellte sich vor den Saal, verdunkelte das Licht, streckte die Hände aus und sagte Ich möchte Sie trösten. Es erschien uns noch nicht einmal unpassend. Am Ende liefen seine Ratschläge auf zwei Sachen hinaus: Entspannung und dreimal in der Woche schwitzen. Wir gehen also wieder in die Muckibude. Ich sitze auf dem Ergometer, fahre 100 Watt und hoffe, dass ich es überstehe. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Es ist wie beim Baden im Sommer – ich habe keine Freude daran und bin froh, wenn ich wieder aus dem Wasser bin. Aber immerhin gehe ich rein.

Zweimal im Theater, Hamlet und Hamletmaschine. Zu meiner Überraschung ist es voll, wie vor dreißig Jahren. Liebe Theaterleute, vertraut doch einfach auf den Text. Der Rest ergibt sich dann von selbst.

Ich werde ihm noch einmal schreiben.

In der Muckibude

Seit einem Jahr gehe ich wieder in die Muckibude. Ich lag auf dem kalten Linoleumboden, auf die Seite gedreht an der Wand. Der Physiotherapeut bewegte meinen Oberschenkel mit zwei Seilen auf und ab: um mein Hüftgelenk zu mobilisieren, wie er sich ausdrückte. Physiotherapeuten haben eine eigene rätselhafte Sprache, um das komplizierte Zusammenleben aller Knochen, Sehnen und Muskeln zu beschreiben, aus denen unsere Körper bestehen und an diesem Tag hatte er die richtigen Worte für meinen Körper gefunden. So kam das.

Mein Physiotherapeut nennt die Muckibude einen Maschinenpark und das trifft es sehr gut. Die Muckibude liegt hinter den Gärten kurz vor dem Flüchtlingsheim und dem Griechen mit den Säulen. Der Raum hat den Charme eines Speisesaals in einem Lehrlingswohnheim bewahrt. Bevor die Kraftsportler kamen, war da eine Videothek drin, aber Videos braucht heute niemand mehr. Die Kraftsportler haben Schwarz-Weiß-Fotos von sich aus den achtziger Jahren an die Wand gehängt. Wir sind eine Muckibude mit Tradition.

Es gibt zwei schöne Sachen bei der Muckibude: Sie hat immer (wirklich immer) auf und es geht einem niemand mit Trainingsplänen, Körperfettmessungen und Fitnessgetränken auf die Nerven. Überhaupt ist es ziemlich ruhig. Auf der Treppe vor dem Haus und in der Umkleidekabine murmelt man ein einsilbiges Wort, wenn man jemanden trifft, im großen Saal mit den Maschinen nickt man sich allenfalls kurz zu. Hier tut man ernsthafte Dinge.

Das ist kein Ort für Geschwindigkeit und Schwung. Alles geschieht langsam. Die Maschinen zeigen mir, welche Bewegungen ich machen soll, den Rest des Körpers versuche ich dabei möglichst still zu halten. Das Stillhalten ist der schwierige Teil.

Neulich war ich der Letzte in der Muckibude. Freitagabend um halb elf, alle bereit für das Wochenende. Ich beeilte mich mit meinen restlichen Übungen und dann ging ich in Schleifen durch den ganzen Saal, nickte den Maschinen zu und löschte das Licht.

#061

In der Muckibude ein hagerer schwarzer Junge, wahrscheinlich aus Somalia oder Eritrea. Er geht die Geräte von vorn nach hinten durch und steht jetzt etwas ratlos vor einer Macker-Maschine, mit der man dafür sorgen kann, dass die Oberarme nicht mehr in ein normales T-Shirt passen. Der Junge fragt mich, ob ich wisse, wie das Ding funktioniert. Ich weiß es nicht und wir versuchen zusammen, der Mechanik auf den Grund zu gehen (offenbar muss man die beiden Hebel nach vorn drücken, so wie die Riemen zu den Gewichten laufen, aber in welcher Richtung sitzt man eigentlich?). Wir kommen nicht weiter, er verabschiedet sich und sagt im Weggehen halblaut tack. Er muss aus Schweden sein, so wie er diese Floskel internalisiert hat. Die Schweden bedanken sich andauernd. Integration erfolgreich abgeschlossen.