Schlagwort: John Lennon

Hamburg, Herbst

Ich verstehe nicht, wie der Hauptbahnhof überhaupt funktioniert. Ein Gewirr aus Brücken, Treppen und Tunneln. Ausgänge zu allen Seiten. An jedem Bahnsteig warten drei Züge. Der Bahnhof ist zu klein für diese Stadt und die Stadt ist zu groß für diesen Bahnhof. Eine Ameisenstraße anlegen und niemals von ihr abweichen.

Mein Bruder hat einen Kebabladen in Hoheluft ausgesucht. Sie kontrollieren sorgfältig unsere Impfausweise. Das Essen ist gut, aber nach einer Weile bemerken wir einen seltsamen Geruch. Ich denke zuerst an den Autoverkehr der vierspurigen Straße vor unserer Tür, aber mein Bruder riecht das Gas. Er geht zur Theke, jetzt merkt es der Inhaber auch, aber die Leitungen sind alle okay, sagt er und zeigt mit den Händen unbestimmt in Richtung Wand. In meinem Kopf läuft ein Film ab, die Druckwelle der Explosion schleudert uns durch die großen Glasfenster auf die Straße, das wäre der richtige Abschluss für diesen traurigen Tag, aber erst muss ich noch aufessen.

Das Krankenhaus ist ein ganzes Stadtviertel. Als ich auf die neue Station komme, begrüßt mich die Schwester schon an der Tür. Ich war gerade bei Ihrem Vater im Zimmer. Ich wusste ja, dass er heute Besuch von seinem Sohn bekommt und als ich Sie vom Fenster aus auf der Straße gesehen habe, wusste ich gleich, dass Sie es sind. Sie sehen aus wie Ihr Vater.

Mit meiner Mutter machen wir einen Ausflug zur Schiffsbegrüßungsanlage in Wedel. Es ist kalt und windig, aber immerhin kommt nach einer Weile ein großes Containerschiff herein. Über die Lautsprecheranlage werden ein Begrüßungstext und die indonesische Hymne abgespielt. Das Schiff hupt. So hat alles seine Ordnung.

Überall treffe ich freundliche Menschen. Überall treffe ich freundliche, reiche Menschen. Die U-Bahnhöfe haben gemütliche Namen. Schlump, Eppendorfer Baum, Lattenkamp. Das Verkehrssystem ist chaotisch und nicht zu verstehen, aber alle bleiben ruhig dabei.

Am schönsten ist es, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren. Alster, Norderelbe, Isebekkanal. Wir fahren durch den Alten Elbtunnel und trinken am Kiosk auf der Südseite ein Astra, wie alle Touristen. Wir finden die John-Lennon-Tür. Wir umrunden den ganzen Flughafen. Randlagen, Uferwege, Endhaltestellen.


Mein Bruder holt mich aus dem Plattenladen ab. Vorn bei den Neueingängen stehen das Rote und das Blaue Album. Er hat beide noch nicht und ich schenke sie ihm kurzerhand. Die kulturelle Mindestausstattung eines jeden Haushalts. Später stellt sich heraus, dass mein Bruder der erste Mensch auf der Welt ist, dem die frühen Sachen besser gefallen als die späten, aber Kunststück, wir sind in Hamburg, das wirkt noch lange nach.

Johns Rückkehr nach Liverpool

Im vergangenen Jahr habe ich zum dritten Mal eine Weihnachtsgeschichte übersetzt. Die erste Geschichte hieß Das zwölfte Album und warf einen Blick auf ein Paralleluniversum, das sich auf irgendweine Weise in unsere Zeit gefaltet hatte und in dem die Beatles im Jahr 1970 noch ein weiteres Album aufgenommen hatten. Die zweite Geschichte war Snodgrass, eine Alternativweltgeschichte, in der sich John Lennon 1962 von der Band getrennt hatte und, arbeitslos und unglücklich verliebt, Anfang der 90er Jahre in Birmingham ein Beatleskonzert besucht. Die dritte (neue) Geschichte heißt Johns Rückkehr nach Liverpool und spielt in einer diffusen Zwischenwelt nach dem Attentat. Es ist ein Kammerspiel, John besucht Dorothy, Dorothy nimmt John auf, mehr Protagonisten gibt es nicht. Ich habe nicht herausbekommen, wer Dorothy ist. Die Haushälterin von John Lennon hieß Dorothy Jartlett, vielleicht daher. Zuerst dachte ich, es wäre einfach eine Gruselgeschichte, aber beim Übersetzen merkte ich, dass der Text einige Tiefen hat (die Lösung der Erzählung vermute ich in der Fernsehdokumentation), wie auch sonst bei diesem Thema. Vor allem geht es einmal nicht um Musik, sondern um Bilder. Ein altes Foto spielt eine Rolle und die Schlussszene ist eine Referenz auf die berühmte Fotosession von Annie Leibovitz mit John und Yoko am 8. Dezember 1980. Das alles hat mich dann doch ziemlich mitgenommen.

Nachtrag

Aus der Übersetzung habe ich ein kleines Büchlein gemacht, das ich sehr gern verschenken will. Wer das Heft haben möchte, schreibt mir bitte einfach. Ich freue mich immer über Post.

Ich muss den armen Paul McCartney in Schutz nehmen. Wenn ich mich richtig erinnere, soll die zweite Zeile von She was just seventeen / You know what I mean unter beachtlicher Mithilfe von John Lennon entstanden sein. Es war 1962, wir sollten das den Jungs vielleicht durchgehen lassen.

Und Rocky Raccoon war immer eins meiner Lieblingslieder vom Weißen Album, gerade über Her name was Magill, and she called herself Lil / But everyone knew her as Nancy kann ich noch immer freuen. Übrigens haben langjährige Studien bei Youtube ergeben, dass diese hier die beste Coverversion des Songs ist. Solange die jungen Menschen noch Freude an den Klassikern haben, ist nicht alles verloren.

— Kommentar bei Something I learned today