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Noch etwas zu Schallplatten

Auf Discogs schreibt mir jemand, ob die Matrizennummer auf der Auslaufrille meiner Odeon-Pressung von Love Me Do wirklich 17144-1 ist, wie in der Datenbank angegeben, insbesondere ob das -1 am Ende da ist. Ich bin froh, dass sich jemand um diese Dinge kümmert, hier scheint eine Unsicherheit entstanden zu sein. Ich hole die Kiste mit den Singles aus dem Schrank und schaue nach – alles in Ordnung.

Ich habe meine Platten noch einmal umsortiert, sie stehen jetzt alphabetisch im Regal, geordnet nach Bandnamen (ohne The) und Vornamen. Die Sortierung nach Vornamen ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber das habe ich schon in Nexø so gesehen, also warum nicht. Vor allem ist meine Sammlung auch bei Discogs so gelistet, also lasse ich Discogs entscheiden. Die Seite will auch, dass Wings und Paul McCartney nicht mehr nebeneinander stehen (sondern unter W und P), ich füge mich widerwillig. Plastic Ono Band Live Peace in Toronto 1969 habe ich aber bei John Lennon gelassen, das wäre selbst mir zu viel Ordnung.

In einem Hamburger Plattenladen ein Gespräch über Preise. Ich finde, Platten müssen billiger werden, damit sich die nächste Generation auch noch Musik leisten kann. Die alten weißen Männer mit Geld und Sammelleidenschaft, die jetzt noch die Läden bevölkern, sterben bald aus. Der Besitzer stimmt mir zu, aber was soll er machen, er ist hier in Eppendorf, die Leute kommen rein und sagen, was sie wollen, und dann zahlen sie einfach, was die Sachen kosten, und das ist auch wieder wahr.

In einem Plattenladen in Malmö ein Gespräch über Preise. Die Verkäuferin erzählt, dass die Dänen sich kaputt lachen, weil hier alles so billig ist. Sie haben eine fantastische Auswahl, nicht zu viel, ein bisschen schräg, überhaupt kein Schrott. Im besten Fall ist ein Plattenladen ein sozialer Ort wie dieser hier, mit einem Sofa, mit einem Kaffee, mit Stammkunden und Laufkundschaft, mit guter Musik. Ich hoffe, dass das nie aufhört.

Hamburg, Herbst

Ich verstehe nicht, wie der Hauptbahnhof überhaupt funktioniert. Ein Gewirr aus Brücken, Treppen und Tunneln. Ausgänge zu allen Seiten. An jedem Bahnsteig warten drei Züge. Der Bahnhof ist zu klein für diese Stadt und die Stadt ist zu groß für diesen Bahnhof. Eine Ameisenstraße anlegen und niemals von ihr abweichen.

Mein Bruder hat einen Kebabladen in Hoheluft ausgesucht. Sie kontrollieren sorgfältig unsere Impfausweise. Das Essen ist gut, aber nach einer Weile bemerken wir einen seltsamen Geruch. Ich denke zuerst an den Autoverkehr der vierspurigen Straße vor unserer Tür, aber mein Bruder riecht das Gas. Er geht zur Theke, jetzt merkt es der Inhaber auch, aber die Leitungen sind alle okay, sagt er und zeigt mit den Händen unbestimmt in Richtung Wand. In meinem Kopf läuft ein Film ab, die Druckwelle der Explosion schleudert uns durch die großen Glasfenster auf die Straße, das wäre der richtige Abschluss für diesen traurigen Tag, aber erst muss ich noch aufessen.

Das Krankenhaus ist ein ganzes Stadtviertel. Als ich auf die neue Station komme, begrüßt mich die Schwester schon an der Tür. Ich war gerade bei Ihrem Vater im Zimmer. Ich wusste ja, dass er heute Besuch von seinem Sohn bekommt und als ich Sie vom Fenster aus auf der Straße gesehen habe, wusste ich gleich, dass Sie es sind. Sie sehen aus wie Ihr Vater.

Mit meiner Mutter machen wir einen Ausflug zur Schiffsbegrüßungsanlage in Wedel. Es ist kalt und windig, aber immerhin kommt nach einer Weile ein großes Containerschiff herein. Über die Lautsprecheranlage werden ein Begrüßungstext und die indonesische Hymne abgespielt. Das Schiff hupt. So hat alles seine Ordnung.

Überall treffe ich freundliche Menschen. Überall treffe ich freundliche, reiche Menschen. Die U-Bahnhöfe haben gemütliche Namen. Schlump, Eppendorfer Baum, Lattenkamp. Das Verkehrssystem ist chaotisch und nicht zu verstehen, aber alle bleiben ruhig dabei.

Am schönsten ist es, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren. Alster, Norderelbe, Isebekkanal. Wir fahren durch den Alten Elbtunnel und trinken am Kiosk auf der Südseite ein Astra, wie alle Touristen. Wir finden die John-Lennon-Tür. Wir umrunden den ganzen Flughafen. Randlagen, Uferwege, Endhaltestellen.


Mein Bruder holt mich aus dem Plattenladen ab. Vorn bei den Neueingängen stehen das Rote und das Blaue Album. Er hat beide noch nicht und ich schenke sie ihm kurzerhand. Die kulturelle Mindestausstattung eines jeden Haushalts. Später stellt sich heraus, dass mein Bruder der erste Mensch auf der Welt ist, dem die frühen Sachen besser gefallen als die späten, aber Kunststück, wir sind in Hamburg, das wirkt noch lange nach.