Wie ich das erste Mal in den Westen fuhr

Eigentlich durften war nicht in den Westen fahren. Wir waren Soldaten, wir hätten ein Geheimnis ausplaudern können oder so. Das waren ja nun nicht gerade die dicksten Freunde der DDR da drüben. Aber wahrscheinlich hatten sich unsere Chefs bei der Armee ausgedacht, dass sie es sowieso nicht verhindern können, oder vielleicht wollten sie auch selbst mal gern in den Westen fahren, ich weiß es nicht. Jedenfalls durften wir dann doch fahren.

Ich war ziemlich gespannt. Ich erinnerte mich daran, wie mein Vater vor ein paar Monaten mit tränenden Augen von einem Verwandtschaftsbesuch zurückkehrt war: »Wenn ihr nur einmal sehen könntet, wie es da aussieht!« In den Restaurants sollen jede menge Tische frei gewesen sein und alles sei so sauber. Vom Begrüßungsgeld hatte mein Vater einen Dörrapparat gekauft. So ein Ding, mit dem man Trockenobst herstellen konnte, eine Art Fön für Früchte. Habe ich seitdem nie wieder gesehen.

1989 drohte das Begrüßungsgeld langsam auszugehen und 1990 sollte es keins mehr geben, stand in der Zeitung, also mussten wir uns beeilen und krabbelten kurz nach Weihnachten in Rostock in einen vollkommen überfüllten Zug nach Lübeck. Als wir in Lübeck wieder rauskrabbelten, stand ein Mann auf dem Bahnsteig und rief: »Alle, die noch kein Begrüßungsgeld haben, mir nach!« Der halbe Zug hinterher, wir auch. Der schien sich auszukennen. Eine Viertelstunde Fußmarsch, irgend so ein Bürogebäude, in dem wir im Flur eine lange Schlange bildeten, das konnten wir gut, es gab einen Stempel in den Personalausweis und endlich konnten wir uns den Westen angucken. Ich begann gleich mit der Bürotoilette und fand keinen Spülknopf am Pissbecken.

Viel mehr weiß ich gar nicht. Ich kaufte ein paar Schallplatten, es gab überall Marzipan und in den Straßen roch es nach Intershop. Die letzte Stunde haben wir auf dem Bahnhof gewartet, um ganz sicher zu gehen, die Rückfahrt nicht zu verpassen. Ich war ein bisschen froh, als ich wieder zuhause war.

Stralsund

Willst du eine wirklich schöne Stelle wissen? Einen schönen Platz auf der Erde? Ja? Dann verrate ich dir jetzt etwas.

Suche dir einen verregneten Herbsttag aus und fahre in den nordöstlichen Zipfel Deutschlands. Dort liegt eine Stadt, die Stralsund heißt (und die auf der ersten Silbe betont wird, nebenher gesagt). Stralsund ist eine schöne Stadt voller alter Häuser, mit einem richtigen Hafen und vielen Seen in der Stadt. Da passt es gut, dass dort das Ozeaneum ist, ein Museum nur für Fische. Das Museum sieht schon von weitem toll aus und drinnen kannst du mit einer riesig langen Rolltreppe nach oben fahren. Nimm dir genug Zeit, es gibt viel zu sehen. Fische sind wunderbare Tiere.

Am längsten habe ich vor den Goldbrassen gestanden. Es sieht wirklich so aus, als hätten sie eine feine Goldschicht auf der Haut, sie schimmern so im Licht. Und sie haben ein schönes Gesicht, sie sehen sehr alt aus. Alt und weise. Sie könnten mir bestimmt eine Menge kluge Dinge erzählen. Aber was? Ich habe genau aufgepasst und versucht es herauszubekommen. Aber leider… können Fische nicht sprechen.

Hast du auch einen Lieblingsplatz?

Jahrestage und so

Wir saßen auf dem Dänholm fest, weggesperrt in diese Kaserne, Volksmarine, Grundausbildung, Marschieren lernen, Schießen lernen und diese Sachen und noch 17 Monate und drei Wochen vor uns. Das, was noch keinen Namen hatte und was sie jetzt Revolution nennen, war seit neun Tagen zu Ende. Ich war der Einzige aus meiner Stube, der jeden Abend um halb acht in den Fernsehraum schlurfte. Von der Aktuellen Kamera durften sie einen nicht wegjagen zum Klarschiffmachen oder sonstwohin, das war Politischer Unterricht. Als ich an diesem Abend zurück auf die Stube kam, fragte einer, ob es was Neues gäbe und ich sagte, die Mauer sei auf und sie sagten, ich solle mich hinsetzen, sie hätten schon gemischt.