Autor: Stefan

Vor der Kaffeebar in der Fußgängerzone hatte jemand ein Schachbrett aufgebaut. Als er meinen erstaunten Blick sah, lud er mich zu einer Partie ein. Ich sagte, dass ich aber ziemlich gut spiele, worauf er erwiderte, dann würde er wenigstens etwas lernen. Was er denn in der Stadt mache, wollte ich wissen. Er habe einen Luftwechsel gebraucht und es gefalle ihm hier gut. Seine Promotionsarbeit sei fast fertig, aber noch nicht ganz. Mathematik. Ich fragte ihn nach dem Thema. Seine Antwort kann ich schon jetzt, wenige Stunden nach unserer Schachpartie, nicht mehr wiedergeben. Irgendetwas mit symmetrischen Strukturen geometrischer Körper im höherdimensionalem Raum. Er versuchte, es mir zu erklären. Ich war mir nicht sicher, ob er sich die ganze Geschichte gerade in diesem Moment ausgedacht hatte, der Gegenstand seiner Erzählung konnte für mich genauso gut ein Märchen wie eine wissenschaftliche Arbeit sein. Wenn etwas unserer Vorstellungsvermögen übersteigt, ist es Wunder und Wirklichkeit zugleich.

Theresia Enzensberger. Auf See. Große Erwartungen an dieses Buch (die Rezensionen versprachen eine Dystopie auf einer künstlichen Ostseeinsel, der Roman stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis), die leider alle enttäuscht wurden. Das Buch kämpft einen politischen Kampf gegen den sog. Neoliberalismus, der vielleicht vor zehn Jahren aktuell war, aber ein ideologiegetriebener Text bleibt vor allem flach und langweilig und ohne Poesie und literarischen Zauber. Am traurigsten fand ich die eingeschobenen Passagen voller Buchwissen und selbst diese sind vermutlich einseitig gefärbt, die neokolonialistisch gedeutete Geschichte von Nauru war es jedenfalls.

Vor einem Monat hatte er an einem Sonntagnachmittag mit Lawrence einen Spaziergang im Grünen gemacht. Sie waren in den Chilterns gewesen und einige Kilometer nördlich von Henley, unweit von einem Bauernhof, einem Weg gefolgt. Lawrence war vom Pfad abgewichen, um sich das Wrack einer alten Landwirtschaftsmaschine anzusehen. Er trat die hüfthohen Brennnesseln nieder.
„Dad. Komm mal her, und sieh dir das an.“
Er wollte, dass Roland die Zähne eines verrosteten Zahnrades zählte. Es waren vierzehn. Und dann bat er ihn, auch die Zähne an dem größeren, ins kleinere greifenden Zahnrad zu zählen. Fünfundzwanzig.
„Verstehst du? Das sind relative Primzahlen, also teilerfremd.“
„Und das bedeutet?“
„Der einzige gemeinsame Teiler, den sie haben, ist eins. So nutzen die Zahnräder sich gleichmäßig ab.“

— Ian McEwan: Lektionen