Autor: admin

Reifezeugnisse

Die Aula ist noch da, aber der Bahnübergang an der Grimmer Straße ist weg.

Ein Gespräch beim Jahrgangstreffen. Frauen würden immer auf die Hände sehen, sagt sie. Er schaut auf seinen eingewachsenen Ehering, russisches Rotgold, aber den wolle er ohnehin nicht mehr abnehmen und sie sagt, so etwas habe sie sich von ihrem Mann gewünscht. Die meisten tragen keine Ringe und einer will seinen gerade heute bei der Gartenarbeit verloren haben, aber den finde er wieder.

Als Lektürevorbereitung für »The Art of Fielding« dreimal zum Baseball gegangen.

Draußen wird es hell, als wir aus der Kneipe kommen und das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.

Am Strand in Lubmin ist mein alter Klassenlehrer und spielt Volleyball. Ich bin mir zuerst nicht ganz sicher, die Statur, der Gang, doch dann ruft er laut und dröhnend und lachend seine Anweisungen. Die Stimme hat sich kein Stück verändert. Ich denke darüber nach, ob ich etwas von ihm gelernt habe, aber mir fällt nichts ein.

Es sind die Regeln, die ein Spiel interessant machen. Die immerwährende einschläfernde Abfolge von Bowling, Batting und Fielding gibt Cricket erst den Rahmen, in dem sich die Erzählung des Matches abspielen kann, das Drama. Aber man muss die Regeln kennen. Fußball ist dagegen viel einfacher und offener.

Lina Stoltz: Ein Gedicht

Earl Grey in dunkelblauen Teetassen
an deinem Küchentisch
Ein neues Glas Honig
Du rauchst vor dem Ventilator
Nimmst die Zigarettenschachtel aus dem Gefrierschrank
Einem leeren Gefrierschrank
bis auf die Zigaretten
Er müsste mal abgetaut werden, glaube ich

Amphetamin
bringt gespritzt
die besten Ergebnisse

Neun Tage trocken
Die Wohnung geputzt
Ich kann dich
nicht anders nennen
als schön
Der Blumenstrauß geht ins Blaue
und ich kaufe eine Vase
Du hast bestimmt
keine Vase, glaube ich

Hundert Glocken für den Bus nach Hause
als du aufhören willst
wieder
Schlaftabletten
einzuwerfen
um die Sucht
unter Kontrolle zu halten

Auch diesmal bewegst du dich nicht
als ich dich umarme
Hältst nur die Zigarette weg
damit du mich
nicht verbrennst

Nach manchen Sachen frage ich nicht
Solchen die ich
nicht wissen will

Übersetzt nach Lina Stoltz: Dikter (Provins 1/2007)

Waffenbrüder

Als wir auf der Pritsche vom W50 saßen, das Gewehr zwischen den Beinen, den Kolben auf dem Boden, auf der Fahrt zum Schießplatz, mit klammen Fingern in dieser Scheißkälte, als das Gerede begann, was das alles noch sollte, draußen fuhren sie in den Westen, der Klassenfeind stand auf unseren Marktplätzen und machte Wahlkampf und wir putzten jeden Tag auf einem Hocker im Flur die Kalaschnikows, Waffe entladen, entspannt und gesichert, bis die Offiziere kein Staubkorn mehr im Lauf fanden und jeder Fettfleck auf dem Metall verrieben war, als einer sagte, er werde in die Luft schießen bei der Übung und noch einer und noch einer und dann schossen wir über die Zielscheiben hinweg, da war es auf einmal zu Ende, Entladen! Munition abgeben! Aufsitzen! und die Tür zur Waffenkammer in unserer Baracke wurde nie wieder aufgeschlossen. Was in der 8. Klasse mit einem KK-Gewehr im Erlengrund begonnen hatte oder vielleicht schon früher, Der Friede muss bewaffnet sein, war auf einmal zu Ende, der Wehrunterricht, die GST-Nachmittage, die Wehrlager, die Tage der Wehrbereitschaft, die Uniformen und die genagelten Stiefel auf dem Schulboden, die Fragen nach den drei Jahren Dienst für den Frieden, nach den Grenztruppen, die Musterung, die Geschichten von denen, die erschossen worden waren, weil jemand die Zielkoordinaten vertauscht hatte, weil jemand abhauen wollte, weil jemand durchgedreht war, die Schießübung bei der Grundausbildung, neben mir lag der Alkoholiker, den seine Frau verlassen hatte und der hoffentlich die Nerven behalten würde, ich wurde bester Schütze im Zug und bekam einen Tag Sonderurlaub. Jeder Angehörige der Nationalen Volksarmee muß seine Waffe so behandeln und pflegen, daß sie jederzeit einsatzbereit ist, aber das war auf einmal vorbei, weil wir die Lust verloren hatten.