Seit einem Monat kann ich wieder richtig schlafen. Die Burschenschaftler sind verschwunden, der Club um die Ecke ist geschlossen, niemand zieht mehr nachts schreiend durch die Straße. Morgens werde ich nicht mehr von Autos geweckt, sondern von den Vögeln. Kann meinetwegen so bleiben.

Keine Termine mehr, keine Verabredungen, keine Arztbesuche, keine Physiotherapie, nicht mehr ins Theater, nicht mehr ins Kino, nicht mehr ins Restaurant, keine Besuche, kein Zug, den wir kriegen müssen, gar nichts mehr. Wenn ich meine Arbeit geschafft habe, fahre ich für eine Stunde ins Büro und hole mir neue. Papier ist schwer, das nächste Mal nehme ich den Fahrradanhänger mit und packe die volle Aktentasche da rein.

Aber ich vermisse die Gespräche. Wenn ich jemanden auf der Straße treffe, läuft immer diese Unruhe mit: Stehen wir weit genug auseinander? Sind die 15 Minuten schon um?

Lange wird das nicht mehr halten. Diese merkwürdige Mischung aus Linken, Rechten und Wirtschaftsliberalen, die Grundrechte! und Verhältnismäßigkeit! schreien und keine Ahnung haben, was das überhaupt ist. Dieser Möchtegern-Kanzler, dem seine Berater gesagt haben, dass er vorwegmarschieren soll, mit seinem Watschelgang und jetzt hat er einen Professor eingekauft und eine PR-Agentur macht alles instagrammable.

Vielleicht sind die Professoren in den Talkshows bloß gecastet? Ich meine, woher kommen die plötzlich alle? Hat die vorher schon mal jemand gesehen?

Heute die große Fahrradrunde. Die Kondition ist sonstwo.

Ich bin jetzt Candidate Master, so ähnlich werde ich mich fühlen, wenn ich draußen mit einer Maske herumlaufe. Alle gucken komisch.

11.04.2020

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