Klagefall

Am Zebrastreifen

An Fußgängerüberwegen haben Fahrzeuge mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen den zu Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 StVO).

Das ist meine Lieblingsstelle für sog. geschlechtergerechte Sprache in Gesetzestexten. Unabhängig von der fehlerhaften Rechtschreibung (zu Fuß Gehende) ist der Text in sich nicht konsistent. Fußgängerüberweg ist nicht gegendert (eigentlich müsste es Überweg für Zufußgehende heißen), wahrscheinlich deshalb, weil das ein Rechtsbegriff ist, der auch an vielen anderen Stellen im Straßenverkehrsrecht vorkommt und für den ein eigenes Verkehrsschild gibt. Rechtsbegriffe müssen einheitlich benutzt werden.

Nicht konsequent ist auch, dass die Fahrzeuge anders als die Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen nicht personalisiert worden sind. Ein Fahrzeug selbst kann schließlich niemandem das Überqueren der Fahrbahn ermöglichen, das können nur die Fahrenden von Fahrzeugen mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen. Ich habe aber den Verdacht, dass die Vorschrift dann doch zu lang geworden wäre.

Das kann man alles sehr lustig finden, wenn man will, aber es hat einen ernsten Hintergrund. Gesetzestexte sind Funktionstexte. Sie sollen den Rechtsunterworfenen und den Rechtsanwendern die Rechtslage deutlich machen. Gesetze müssen deshalb möglichst klar und verständlich sein. Jetzt gibt es natürlich unendlich viele Beispiele für Paragraphen, die sich über mehrere Seiten erstrecken und wie ein Thomas-Mann-Roman konstruiert sind. Aber es gibt auch andere Beispiele wie das Bürgerliche Gesetzbuch oder das Grundgesetz. Und bei unserem Beispiel geht es um eine wichtige Sache: Wie muss ich mich verhalten, wenn auf die Straße ein Zebrastreifen gemalt ist? Das ist etwas, was uns im Kindergarten erklärt worden ist. Jetzt müssen wir erstmal in Gedanken übersetzen:

Zufußgehende = Fußgänger
Fahrende von Rollstühlen = Rollstuhlfahrer

Exkurs: Was ist eigentlich mit Radfahrenden bzw. Fahrradfahrern? Müssen die absteigen oder dürfen die über den Zebrastreifen fahren?

Antwort: Die Gerichte sind sich nicht ganz einig. Exkurs Ende.

Anlass für diesen Text ist dieser Tweet der sächsischen Justizministerin. Die Verwaltungsvorschrift scheint noch nicht veröffentlicht worden zu sein. Die Pressemitteilung liest sich allerdings so, dass in Sachsen die sog. Beidnennung in Gesetzestexten verbindlich werden soll. Natürlich sofort riesige Aufregung, aber bitte mal zur Kenntnis nehmen, dass das nichts völlig Neues ist. Das Beamtenrecht des Bundes hat inzwischen durchgängig Beidnennung. Schönes Beispiel:

Die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident oder eine von ihr oder ihm bestimmte Stelle ernennt die Beamtinnen und Beamten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (§ 12 Abs. 1 BBG).

Das Grundgesetz kennt zwar keine Bundespräsidentin, weil es beamtenrechtlich zutreffend zwischen dem Amt und dem/der Amtswalter/in unterscheidet, aber so what. Das Grundgesetz kennt auch keine Bundeskanzlerin.

Das Problem bei der Beidnennung ist ein anderes. Bei systematischer Auslegung ergibt sich aus dem Gesetz, dass Beamtinnen etwas anderes als Beamte sind. Das Gesetz verwendet offenbar nicht das Konzept des generischen Maskulinums, nach dem mit dem Rechtsbegriff Beamte alle beamteten Menschen unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht bezeichnet sind. Das Gesetz stellt also auf das biologische Geschlecht ab:

Beamte sind Menschen mit biologisch männlichem Geschlecht.
Beamtinnen sind Menschen mit biologisch weiblichen Geschlecht.

Was natürlich unmittelbar zu der Frage führt, welches Recht für Personen gilt, die biologisch weder ein männliches noch ein weibliches Geschlecht haben? Von wem werden diese ernannt?

§ 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz: Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden.

[tl;dr] Gesetze sind Funktionstexte. Das bedingt eine eigene Sprache. Rechtssätze müssen konsistent und eindeutig formuliert sein.

2 Kommentare

  1. Ich weiß nicht, ob Sie dergleichen beabsichtigt haben, aber Sie haben mich mit diesem Beitrag sehr erheitert und mir ein paar Minuten Lachen am Schreibtisch beschert. Dysfunktionalität macht eben auch Spaß.

    • Stefan

      12. August 2020 um 20:39

      Das freut mich sehr. Ich versuche, nicht zum Grumpy Old Man zu werden, aber es fällt mir zunehmend schwerer.

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