Klagefall

Zitate

Im Schach hieß eine solche Gemengelage Zugzwang, fügte J. hinzu und stand auf. Der Begriff bezeichnete einen vertrackten Zustand, der manchmal in einer Partie eintreten konnte. Ganz gleich, wie der Spieler sich verhielt, es gab keinen vorteilhaften Zug, keine erfolgreiche Technik. Sämtliche Möglichkeiten waren erschöpft. Gleichwohl musste er einen Zug machen, da das Regelwerk ihm nicht erlaubte, darauf zu verzichten.

– aus: Aris Fioretos: Die dichte Welt, Sinn und Form 5/2017

Zugzwang ist ein Germanismus, der es in viele Sprachen geschafft hat, wahrscheinlich im Gefolge der erstmaligen Verwendung des Begriffs durch den (einzigen) deutschen Schachweltmeister Emanuel Lasker in seinem Lasker’s Chess Magazine (1905). Wenn man Fioretos präzisieren möchte: Zugzwang bedeutet, dass jeder Zug die eigene Stellung nicht nur nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert. Aber vielleicht hat J. das auch ungenau mitgeteilt. Es tut dem Essay keinen Abbruch.

Schachhistorisch erschöpfend ist wie immer Edward Winter.

Eines meiner Lieblingswörter ist klein, ein anderes schön. Die sogenannten Helden meiner Geschichten sind oft müde. Schweigsam, kapriziös, verwundbar, zu keiner eindeutigen Zeit geboren, sie setzen sich für nichts ein, beziehen keine Stellung, zeichnen sich durch Passivität aus, durch Reglosigkeit, in jeder Geschichte gibt es einen Riss, die Aussicht auf diese eine Erschütterung, die verändern kann – und das ist alles. Ich schreibe, um mich rauszuhalten.

– aus: Judith Hermann: Helden der Gegenwart, Sinn und Form 4/2017

Jürgen Fenn schreibt über digitale Unsterblichkeit:

Datensparsamkeit beginnt beim Benutzer. Das Web kennt kein menschliches Maß. Es erzwingt den Rückzug der User. Auch Fake Accounts und Pseudonyme helfen nicht weiter, die Spuren, die wir alle online hinterlassen, sind längst so umfangreich und das Netz, das daraus gewebt worden ist, so engmaschig, daß man sich nicht mehr verbergen kann.

Ich frage mich bei dieser Diskussion manchmal, woher der Gedanke kommt, dass die Dinge, die man ins Internet schreibt, nicht anderswo gespeichert werden dürfen, damit sie aus dem Netz später wieder entfernt werden können. Was ist daran eigentlich anders als bei jeder anderen Veröffentlichung? Ein Buch lässt sich nicht wieder aus der Welt schaffen, ein Zeitungsartikel auch nicht. Jede Publikation wird archiviert. Wenn ich ein Bild an eine Hauswand male oder eine Zeichnung in eine Felswand ritze, mache ich das für immer (nicht ganz: irgendwann stürzt die Erde in die Sonne und mit ihr alle Bibliotheken, Server und Felshöhlen).

Wer im Internet schreibt, publiziert. Und zwar genau deshalb, weil er möchte, dass es gelesen werden kann. Die Ewigkeit ist der Preis für die Öffentlichkeit. Die Selbstbestimmung endet, sobald das Werk in der Welt ist. Geändert haben sich nur die Anzahl der Publizisten und die Reproduktionstechnologien.