Klagefall

Kurzmitteilungen

Wir loggen endlich die dritte Wolgaster Bahnstation: Wolgaster Fähre. Zuletzt waren wir hier vor zweieinhalb Jahren.

Tiere am Wegesrand: Rehe, Hunde, Enten, Gänse, Hühner, Kühe, Bullen, Schafe, Katzen, Bienen, Adler. Tierspuren am Wegesrand: Wildschweine.

Zwischen Sauzin und Neeberg vollständige Stille. Unten liegt das Achterwasser, über uns der weite pommersche Himmel.

Heute ist Bettenwechsel, Abreisetag. Beherbergungsverbot hin oder her, die Insel ist voller Menschen. Polen ist ab morgen Risikogebiet, also müssen außerdem alle deutschen Urlauber gleichzeitig Swinemünde räumen. Ab Neeberg kommen uns ununterbrochen Autos entgegen, denen ihr Navigationsgerät geraten hat, den Stau vor Wolgast über die Landstraße zu umfahren. Sogar auf dem alten Plattenweg zwischen Krummin und dem Gnitz ist Autoverkehr. Aber am Ende müssen doch alle über dieselbe Brücke fahren. Auf der Rückfahrt sehen wir die kilometerlange Schlange aus dem Zugfenster. Der Stau schafft es in die Nachrichten.

Ein ungewöhnliches Geräusch über unseren Köpfen. Als wir nach oben gucken, sehen wir ein Passagierflugzeug. Der Flughafen in Heringsdorf hat vier Starts in der Woche, alle am Samstag, wahrscheinlich wollen sie es den Planespottern einfacher machen.

[Gnitz III]

Joey Molland ist ein Zeitreisender, seit vielen Jahren der letzte Überlebende seiner tragischen Band. Jetzt hat er Be True to Yourself herausgebracht. Richtige Menschen mit richtigen Instrumenten, Harmonien, die sich langsam ins Langzeitgedächtnis vorarbeiten und eine Produktion, die an ihren besten Stellen tatsächlich an Badfinger erinnert. Ein paar Fäden führen bis zu den Beatles zurück. Das muss ein Kraftakt gewesen sein, ich bin sehr glücklich, dass er so etwas noch einmal geschafft hat.

Zoë Beck: Paradise City. Ich hatte zwei Rezensionen zu diesem Buch aus der Zeitung ausgeschnitten und erinnerte mich daran, als ich mich entscheiden musste, welche Bücher ich mit in den Urlaub nehme. Ausnahmsweise E-Books, da beleuchtbar und leicht zu transportieren. Überhaupt passen hier Format und Inhalt bestmöglich zusammen, Zoë Beck dreht unsere Geschichte nur ein paar Jahrzehnte vorwärts: Das Meer hat sich die halbe Küste zurückgeholt, eine Epidemie hat große Teile der Bevölkerung ausgerottet, der Großraum Frankfurt am Main ist Bundeshauptstadt geworden und der Nationalstaat in Gestalt einer sanften Gesundheitsdiktatur zurückgekehrt (den Stand des Gesundheitswesens würde ich sofort haben wollen, perfekt). Bücher und Zeitungen aus Papier sind in dieser Gesellschaft nicht mehr denkbar, Zeitungen ohnehin nicht, weil die Medien fast vollständig verstaatlicht worden sind. Die Protagonistin arbeitet für eine verbliebene private Nachrichtenagentur, von der man aber auch nicht genau weiß, ob die Regierung sich diese nicht als Ventil hält. Zoë Beck webt in alles noch einen Kriminalfall und eine Lebensgeschichte hinein, sie erzählt so selbstverständlich, dass mir erst hinterher auffiel, dass praktisch alle Hauptfiguren im Buch Frauen sind. Sehr schön. Und jetzt weiß ich nicht, wohinein ich die beiden Rezensionen legen soll. Das ist der Nachteil von E-Books.