Ich bin seit einiger Zeit Abonnent der Krautreporter und weil ich ein paar missmutige Kommentare auf der Seite hinterlassen hatte, wurde ich in dieser Woche zur Blattkritik eingeladen. Vor der versammelten Redaktion durfte ich die letzten fünf Artikel besprechen und auch ein paar allgemeine Bemerkungen zur Entwicklung der Zeitung (sagt man das noch so?) loswerden. Das war eine schöne und aufregende Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin.
Schlagwort: Zeitungen
In Moskau
Im Sommer 1988 war ich mit J. für drei Wochen in Moskau. Wir wohnten in einem Außenbezirk, fünfstöckige gemauerte Häuser, im Hof saßen die Leute unter den Bäumen und spielten Schach.
Der Sommer war heiß. Auf der Straße wurde der Kwas aus Tankwagen verkauft. Die Männer trugen in Wassereimern dünnes Bier nach Hause. Überall gab es Getränkeautomaten mit kaltem Wasser. Ohne Geschmack kostete es eine Kopeke, mit Geschmack drei Kopeken. Das Wasser floss in ein dickwandiges Glas, das man ausspülte und nach dem Trinken wieder in den Automaten zurückstellte. Alle tranken aus demselben Glas.
Die Kaufhalle im Wohngebiet war fast leer. Bis auf ein paar Gläser mit eingelegtem Kohl gab nichts zu kaufen. Sie hatten mit den Gläsern die Regale gefüllt, alle dreißig Zentimeter stand eins.
Vor der Kaufhalle waren Stände, an denen Schmorgurken, Tomaten und Zwiebeln verkauft wurden. Das aßen wir jeden Tag. Jeden Abend schmorte das Gemüse in der Pfanne in der kleinen Küche der Wohnung. Das Gemüse war von der vielen Sonne überreif, die Tomaten schmeckten süß. Es war himmlisch.
Es gab in Moskau nichts zu essen, aber es gab viel zu lesen. Am Zeitungskiosk hatten sie fünf verschiedene Schachzeitungen. Eine davon erschien wöchentlich als gefalteter Zeitungsbogen, den man erst aufschneiden musste. In einem Kulturpalast wurde die 55. UdSSR-Meisterschaft ausgespielt. Anatoli Karpow und Garri Kasparow waren beide da und setzten ihren epischen Zweikampf fort. Die Zuschauer hatten ein Steckschach auf den Knien und analysierten die Partien. Es gab Anstecker mit den Protagonisten, fast wie im Westen. Es war sehr aufregend.
Heute Vormittag war ich bei den polnischen Gemüsehändlern auf dem Markt und habe Tomaten, Schmorgurken und Zwiebeln gekauft.
#152
Nach Sassnitz
Der Fährhafen liegt im Winterschlaf. Erst hat Sassnitz den Hafen an Mukran verloren und jetzt fährt von Mukran auch nichts mehr.
Wir sitzen auf der Bank vor dem Bahnhofsgebäude und gucken hoch zur Stubnitz. Sassnitz liegt im Gebirge.
Der Zug fährt ein. Der neue Streckenbetreiber hat sich von der Österreichischen Bundesbahnen ein paar Wagons ausgeborgt, wie passend. Jemand hat an meinem Platz eine Zeitung liegengelassen, ein Hamburger Abendblatt. Vor ein paar Jahren waren die Züge noch voller Fundstücke, vor allem die Fernzüge, aber jetzt liest niemand mehr Zeitungen und ihre Smartphones lassen die Leute nicht liegen, zum Glück.