Schlagwort: Wieck

Im Frühling

Wir waren nach Wieck gelaufen und dann mit dem Schiff (einer uralten Hiddenseefähre, die auf dem Ryck ihr Gnadenbrot bekommt) zurückgefahren. Am Stadthafen stießen wir überraschend auf eine Maikundgebung. Sie hatten Tische und Bänke aufgestellt. Es gab Musik und einen Büchertisch mit DDR-Literatur. Der Grill war schon in Gang und die Leute saßen in der Sonne und aßen. Die Vorsitzende, die Landtagsabgeordnete, der arbeitslose kommunistische Physiker und viele Rentner. Es war fast schon andächtig ruhig und sah so aus, als ob die Arbeiterbewegung an ein Ende gekommen wäre.

Ein Traum wurde wahr, als die Clowns mich in die Zirkusmanege holten. Ich hatte mich extra in die letzte Reihe gesetzt, aber es waren nicht sehr viele Zuschauer in der Vorstellung. Sie wollten vier kräftige junge Männer und als sie das sagten, war mir klar, dass sie mich gleich herauswinken würden. Vier Leute, sie würden uns also ineinander verknoten und dann die Hocker unter dem Hintern wegziehen, diese Nummer, die es in jedem Zirkus gibt. Die Clowns waren freundlich, fast warmherzig. Die Manege roch angenehm nach trockenem Gras und den Tieren. Für einen Moment gehörten wir zusammen, in dieser kleinen Stadt, auf der Festwiese an der Umgehungsstraße, unter der roten Zeltplane mit den Sternen.

Als der alte Mann im Einwohnermeldeamt sagte, so ein Personalausweis wäre zehn Jahre gültig und es wäre der letzte, den er sich holen müsse.

Dinge zum ersten Mal tun: Eine Fahne tragen, eine isländische Soul-Band hören, in einer Partei sein, im Stadion eine Tapete halten, sich für eine deutsche Meisterschaft qualifizieren, sich Sorgen um die Entwicklung des Benzinpreises und der Wechselkurse machen.

Überflüssige Informationen: Auf den Färöer gibt es einen öffentlichen Nahverkehr mit Hubschraubern. In Tórshavn sind die Stadtbusse kostenlos. Die Norröna hat 2011 wieder Gewinn gemacht. Im Juni gibt es nur 18 Regentage.

Jena war so klein, dass der ICE auf beiden Seiten aus der Stadt herausragte.

Indianer spielen

Oma Wieck hieß Oma Wieck, weil sie in Wieck auf dem Darß wohnte. Sie hatte dort ein Haus, das in meiner Erinnerung unglaublich groß war. Es gab eine Veranda, einen winzigen Keller unter der Speisekammer, eine kleine dunkle Abstellkammer, die auf der Hälfte der Bodentreppe zur Seite abging, einen Schuppen und überhaupt eine Menge aufregender Plätze. Von Opa Wieck habe ich nur noch wenige Bilder im Kopf, auf den meisten sitzt er fröhlich in der Veranda. Im Wohnzimmer, meine Oma sagte Wohnstube dazu, war ein Fernseher und auf dem Hof eine riesige Antenne, damit man Westfernsehen gucken konnte. Fast alle im Dorf hatten so eine Antenne. Auf dem Fernseher stand ein Trafo, an dem man herumdrehen musste, wenn das Bild zu laufen anfing. Wir Kinder durften natürlich viel länger gucken als zuhause und meine Oma sagte immer »Nu lot de Jung doch kieken«, wenn meine Eltern meinten, dass es nun doch genug wäre, und ich guckte weiter.

Ich hatte als Kind eine Menge Indianer und Cowboys. Ich war natürlich immer für die Indianer. Ich weiß noch, wie ich einmal auf dem Fußboden vor dem Fernseher ein großes Fort aufgebaut hatte, das die Cowboys, unterstützt von ein paar NVA-Soldaten, gegen die anstürmenden Indianer verteidigen mussten. »Müssen die denn immer kämpfen?«, fragte meine Oma. »Die können doch auch mal zusammenkommen und ein Fest machen! Die müssen doch nicht immer kämpfen.« Irritiert räumte ich die Figuren weg. Erst viel später habe ich verstanden, was sie meinte. Und das ist eine andere Geschichte.