Schlagwort: Usedom

[Zinnowitz, Promenade]

Anklam, Swinemünde

An den Wiesen die Peene entlang auf der alten Plattenstraße, in der Mitte ab und zu ein paar Asphaltreste. Wir fahren bis nach Anklamer Fähre, aber die Fähre fährt hier gar nicht, sie geht von Kamp. Das kleine Eisenboot kommt gerade herein. 12 Passagiere oder 30 Minuten!, also warten wir dreißig Minuten, es gibt sogar ein Café.

Wir sitzen um den Kapitän herum, in seinem Rücken die Fahrräder, planvoll abgestellt in einem Reißverschlusssystem, auf dem Deck sind Markierungen. Er verteilt Süßigkeiten. An der Bootswand hängen kleine Kreidetafeln, auf die Haiku geschrieben sind: Bashō, Pietraß. Wir passieren die Reste der Karniner Brücke. Bis 1945 fuhren hier die Züge aus Berlin auf die Insel. Jetzt fährt ein Eisenboot.

Gnadenloser Nordostwind. Keine Extratouren, immer geradeaus, nicht zum Haff hinunter. Wir fahren und fahren.

Ein Mann rudert uns von Westklüne nach Ostklüne hinüber. Am Ostufer erhebt sich eine Katze und trabt träge ins Gasthaus, das Klüne-Treff heißt und auf Gäste wartet. Früher gab es hier gar nichts, noch nicht einmal Straßen. Falls das Paradies existiert, muss es ganz in der Nähe sein.

In Garz endlich ein Imbiss. Als wir näherkommen, erhebt sich ein Mann vom Nebentisch und geht in den Imbisswagen. Er ist gesprächig, sie machen morgens um sechs auf, da kommen die Arbeiter zum Frühstück. Der Imbissplatz ist das Dorfzentrum. Am Rand liegt ein altes Holzboot, es heißt Oðin und ist schwarz-weiß-rot gestrichen. Die Farben verwittern in der Sonne.

Wir lassen alles an der Seite liegen: die Hügel, die Kriegsgräber, die Denkmäler, wir fahren und fahren. In Kamminke geht nach links ein asphaltierter Fahrradweg ab, er führt durch die Wiesen bis zu einem kleinen Kanal. An jedem Laternenmast klebt ein Naziaufkleber. Noch über die Holzbrücke, dann sind wir in einem anderen Land. Polen beginnt mit Schrebergärten. Die Anlage heißt Granica.

Gnitz II

Wolgast hat drei Bahnhöfe und das ist für eine Kleinstadt mit zehntausend Einwohnern nur ein bisschen übertrieben: Wolgast, Wolgast Hafen und Wolgaster Fähre. Es gibt zwar schon lange keine Fähre mehr über den Peenestrom, sondern eine Brücke, aber das macht nichts, einen schöneren Namen für eine Bahnstation wird man kaum finden. Hier fängt Usedom an.

Hinter ein paar Hügeln kommt Neeberg, ein hübscher Ort, der zum Wasser hin abfällt und sich zwischen einem Feng-Shui-Garten, der Krumminer Wiek und einer Bungalowsiedlung versteckt. Dahinter liegt Krummin. Auf einem Hügel vor dem Hafen steht die ehemalige Klosterkirche. Das Kirchenschiff ist ungewöhnlich breit, die Wände sind aus Feldsteinen. Außer uns sind nur ein paar Meisen hier.

Wir fahren über eine hucklige Betonplattenstraße am Wasser entlang bis nach Neuendorf. Die Straße aus der Fahrradkarte ist nach hundert Metern in Wirklichkeit ein Sandweg durch den Wald. Das letzte große Grundstück am Ortsende ist mit Zaun, Grenzstreifen, Wäldchen und freilaufenden Hunden gesichert. Hier wohnt jemand, der entweder den Sturz der Regierung plant oder kein Interesse daran hat, mit seinen Nachbarn zu sprechen.

Den halben Weg lang müssen wir schieben. Endlich der Zeltplatz, auf dem wir beinahe die Demokratie neu erfunden hätten. Er sieht noch aus wie vor fünf Jahren, so als würde es ihn nicht weiter kümmern.

Hinunter nach Lütow zum Möwenort, an die Südspitze der Halbinsel. Dort liegt ein bekanntes Ostereiersuchgebiet. Auf der linken Seite beginnt das Achterwasser, gegenüber scheint die Kirche von Lassan aus den Bäumen. Wir sitzen am Strand in der Mittagssonne und wenn es nicht April wäre, würde ich darüber nachdenken, jetzt baden zu gehen.

Von hier aus sind es nur zehn Kilometer bis zur Ostsee und zum Glück haben freundliche Menschen einen Fahrradweg neben die Straße gebaut. Ich habe bei TripAdvisor die Top-Fünf-Restaurants von Zinnowitz auswendig gelernt, aber dann gehen wir dort doch nur ans Wasser und zum Systembäcker an der Hauptstraße. Das Aufkommen an Urlaubern ist im Verhältnis Boddenküste zu Ostseebad um den Faktor 500 erhöht. Im Sommer wird es sicher schwierig werden, die Versorgung mit Fischbrötchen aufrechtzuerhalten.

Auf dem Rückweg passieren wir in umgekehrter Reihenfolge Wolgaster Fähre, Wolgast Hafen und Wolgast. Sonnenbrand im Gesicht und auf den Händen. Vor drei Wochen lag noch Schnee.