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Eine unerwartete und unmittelbare Angst ergriff uns, als als wir auf der Reise zu einer Konferenz des europäischen Netzwerks für Kulturzeitschriften Eurozine auf der Fähre zwischen Karlskrona und Gdynia übernachteten. Das moderne Reisen, das oft in einem Klima kommerzieller Ablenkung und künstlicher Sicherheit geschieht, vermochte diese Illusion bei Windstärke 7 auf der Ostsee nicht richtig aufrechtzuerhalten. Uns ist bewusst, dass dieser Wind noch verhältnismäßig schwach war und dass alle, die auf dem Meer arbeiten und zumal jene, die aus vollkommen anderen und viel zwingenderen Gründen als wir das Meer überqueren müssen, viel größeren Anlass zu Todesangst haben. Aber nichtsdestotrotz. Wir lagen in der Kabine in unseren schmalen Etagenbetten und erlebten wieder und wieder das schwindelnde Gefühl der Schwerelosigkeit, das entstand, bevor die Gravitation ein weiteres Mal die Fähre und uns in eines der tiefen Wellentäler hinunter schickte. Auf dem Autodeck gingen die Alarmanlagen an und wir dachten an das, was wir über die Panik auf der Estonia gelesen hatten: dass die Menschen, als sie sich beim Kampf auf das Deck zu kommen auf den engen Fluren übereinander pressten, überhaupt nicht sprachen, sondern nur noch dumpfe Laute von sich gaben, wie Tiere. Wir versuchten nicht daran zu denken, dass wir nun selbst an einer solchen Stelle waren: inmitten eines Schiffsbauchs aus Blech auf einer unendlichen, dunklen Fläche aus schaukelnder See.

– aus: Ann Ighe und Marit Kapla: Redaktionelle Einleitung, Ord&Bild 5:2016

Ellis Burrau: Drei Gedichte

Ist es zu früh alles zu romantisieren

als ich im Fältöversten stand
kam ein junger Mann mit Basecap zu mir
und fragte wie mir spontan
ein Produkt oder zwei gefallen würden
die er in der Hand hatte

ich sagte dass ich das Produkt
ganz okay fände
und dass ich bereit sei
40 Kronen zu zahlen
weil ich wollte dass er geht

ich wollte dass er mich
in Ruhe lässt

Höflichkeit ist sexy

auf der Arbeit kam
ein Polizist rein
der sagte
ich bin Polizist
ich muss noch
ein Stockwerk höher
und in Richtung
Zentrum gucken

Weil ich Galas mag liege ich natürlich auf der Couch und gucke die Kinderkrebsgala

stell dir vor es wäre dein Ding
nach Oslo zu fahren und dich tätowieren zu lassen
immer mal wieder
nur weil es ein bisschen teurer ist
sich in Oslo tätowieren zu lassen

Übersetzt nach Nyskrivet: Ellis Burrau (10TAL 23-24/2016). »Fältöversten« ist ein Einkaufszentrum in Stockholm.

Nina Hemmingsson: Drei Gedichte

Im Haus nebenan wohnen drei Generationen Blondinen
Merkt euch was ihr beim ersten Schritt fühlt
sage ich zu ihnen
Dann lächeln sie nachsichtig
Bei diesen Dingen bin ich sehr alt
wenn man über den ersten Schritt spricht und so
Uralt und die Blondinen wissen das
Musst du nicht nach Hause und die Blumen gießen
fragen sie höflich
Ich halte das für aufrichtiges Interesse
und erzähle über meine drei Pflanzen
Mit den beiden im Schlafzimmerfenster fange ich an
Die gieße ich alle drei Tage
nicht mehr und nicht weniger
Dann blühen sie manchmal
Zuletzt im Frühling glaube ich
Dann habe ich noch eine dritte Pflanze
Sie steht in einem Erdklumpen
Ich weiß nicht mehr warum aber der Blumentopf ist weg
Ich gehe mit dem Klumpen vor der Brust
durch alle Zimmer
Wenn ich sie hinstelle wird sie sterben
oder am Untergrund festwachsen
und dann den ganzen Fußboden überwuchern
Ich muss mich um sie kümmern
bis sich ihre Wurzeln in meine Brust gefressen
und mein Herz umschlungen haben
Die Blondinen sind nicht mehr da
und ich habe den dritten Tag hintereinander getrunken
oder den vierten wenn man richtig zählt

–––

Wir liegen im wärmsten Zimmer
mit den kaputten Jalousien
Zufällig weiß ich ein paar Sachen
über die Verbreitung und das Verhalten
der einheimischen Vogelarten
In dieser Nacht waren die Fasane
ungewöhnlich laut sage ich
Man hört noch mehr
sagt er und meint mich
wie ich mein Tierwissen aufsage
Dann dreht er sich um
und zieht die Decke weg
und das Dämmerungslicht
trifft meinen Körper
und ich sehe wie das Haar auf meinem Bauch
wächst und sich über die Brust ausbreitet
und ich lege die Hand
genau über den Bauchnabel
und streichle das Fell mit dem Strich
Im Mund habe ich einen Geschmack
von Angst und Grapefruit
und wenn ich sterbe dann ohne
Hautkontakt
Mir bleiben die Hunde
Sie sind mutiger als ich
Sie schwimmen raus und holen
die Spielsachen
die so weit weggetrieben sind
dass ich sie für Enten halte

–––

Heute bin ich nicht da
ich habe einen Termin
bei einer Art Betreuer
Ich darf mir aussuchen was ich will
in dem Café in dem wir besprechen sollen
welche Art von Hilfe
ich im Alltag brauche
Ich erzähle dass ich
durch die Augenlider
kleine zitternde Hände sehe
und dass ich mich in einem unbeobachteten Moment
auf die gefrorene Erde legen
und allen Jahreszeiten verzeihen werde
was sie mir und meiner Familie
angetan haben
Dort wo dein Körper den Boden aufgetaut hat
könnte man eine Laube bauen
sagt der Betreuer voller Hoffnung
Sie haben auch meinen Hund umgebracht
sage ich in den Raum hinein

Übersetzt nach Nina Hemmingsson: Det var jag som kom hem till dig. Stockholm: Atlas, 2012. Nina Hemmingsson ist in Schweden vor allem wegen ihrer Comicserien im Aftonbladet bekannt.