Schlagwort: Südafrika

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Newlands Cricket Ground heute Vormittag. Die Sonne scheint, die Tafelberge sind nicht mehr wolkenverhangen und Südafrika hat am vierten Tag gegen Australien das, was sie healthy lead nennen. Es könnte also alles in bester Ordnung sein.

Aber gestern hatten die Kameras beobachtet, wie der Australier Cameron Bancroft den Ball auf dem Feld erst an einem leuchtend gelben Stückchen Sandpapier rieb und dieses dann in seiner Hose versteckte. Das nennt man Ball tampering. Der Ball ist im Cricket heilig. Er darf (mit Schweiß oder Spucke, nicht jedoch mit Haargel) poliert, mit einem Handtuch abgetrocknet und von Schmutz befreit werden, mehr nicht. Es wird mit ein und demselben Ball gespielt, der frühestens nach 80 Overs getauscht wird. Fliegt er aufs Dach oder aus dem Stadion, versucht der Ground staff, ihn zurückzuholen. Der Ball verändert mit der Zeit seine Eigenschaften, er wird weicher, langsamer, schwerer berechenbar, die Nähte platzen auf, er springt anders ab. Das ist Teil des Spiels. Mit Tampering soll der Swing des Balles weiter erhöht werden. Eine Seite wird poliert und die andere möglichst aufgerauht, die Aerodynamik wird beeinflusst, der Ball fängt an zu eiern. Das macht es den Batsmen schwerer.

Wahrscheinlich hat es für Australien noch nicht einmal funktioniert, die Schiedsrichter haben den Ball gar nicht erst ausgetauscht. Trotzdem: Cricket ist ein Sport für Gentlemen. Sogar der australische Premierminister schaltete sich in die Diskussion ein und forderte im Namen der Nation Konsequenzen gegen sein Team. Der Kapitän Steven Smith verlor sein Amt und wurde für ein Match gesperrt. Bancroft und Smith bekamen hohe Geldstrafen. Man möge sich im Fußball eine vergleichbare Situation nach Schwalbe und (verschossenem) Elfmeter vorstellen.

Als Bancroft und Smith heute für ihr zweites Innings auf das Feld kamen, wurden sie vom Publikum sogar ausgebuht. Auch auf solche Gefühlausbrüche würden wir gern weiterhin verzichten.

Nachtrag

Der australische Cricketverband hat Smith und Vizekapitän Warner für ein Jahr gesperrt, Bancroft für neun Monate.

Halbfinale

Das Spiel beginnt um 2 Uhr morgens. Ich habe mir versprochen, dass ich aufstehen werde, wenn sie ins Halbfinale kommen, aber bringe es trotzdem nicht fertig, den Wecker zu stellen. Um zehn nach zwei werde ich wach und setze mich vor den Stream. Südafrika darf wählen und schlägt zuerst. Amla und de Kock gehen schnell, schon im Powerplay, aber du Plessis und Roussow setzen sich fest und bauen das Innings auf. Vor allem du Plessis spielt sehr sicher, so als wolle er bis zum Schluss bleiben. Um halb fünf fangen die Vögel vor dem Fenster an zu singen. Im 27. Over kommt de Villiers und treibt zusammen mit der Nummer 3 den Score bis 216/3, bis es in Auckland zu regnen beginnt. Das Spiel wird unterbrochen und ich lege mich um halb sechs wieder hin. Eine Stunde später gehe ich nachsehen, wie es steht, das Spiel wird auf 43 Over gekürzt und geht weiter. Gleich der zweite Ball von du Plessis wird gefangen. Um mich zu beruhigen, gehe ich duschen und decke den Frühstückstisch. Inzwischen macht Miller aus 23 Bällen 49 Runs und danach kommt noch Duminy, der den Score auf 281 schiebt. De Villiers geht mit 65 Runs not out vom Platz. Nach Duckworth-Lewis muss Neuseeland 298 Runs in 43 Overs machen und obwohl der Platz klein ist, eine Run-Rate von fast sieben sollten Steyn, Morkel und Tahir verhindern können. Im Viertelfinale hatte Südafrika gerade Sri Lanka für 133 Runs komplett ausgeworfen.

Neuseeland spielt alles oder nichts, McCullum schlägt nach jeden Ball, in 32 Minuten macht er 12 Boundaries und 59 Runs, ehe er gestoppt ist. Ich fahre den Rechner herunter, gehe frühstücken und ziehe mich an. Bevor ich zur Arbeit fahre, sehe ich doch noch einmal nach, inzwischen ist das zweite Wicket gefallen, aber Steyn geht verletzt vom Platz und bleibt erstmal draußen. Im Büro sind im 22. Over schon vier Neuseeländer für 149 Runs raus, sie genau die Hälfte geschafft. Ich muss zur Verhandlung. Den Rechner lasse ich an und die Seite offen. Um halb zwölf bin ich zurück, wische mit der Maus über den Schreibtisch, der Bildschirmschoner verschwindet und da steht New Zealand won by 4 wickets (with 1 ball remaining). Ich schaffe es noch, die letzten beiden Over im Ticker nachzulesen, beim siebtletzten Ball hatten sie Elliot fast raus, aber den Ball verloren, aus dem letzten Over brauchte Neuseeland noch zwölf Runs, und nach zwei Bällen noch zehn. Steyns Oberschenkel muss minutenlang auf dem Platz behandelt werden. Dann macht Vettori, selbst ein Bowler, eine Vier und ein Bye. Elliot kommt dadurch wieder an den Schlag und hämmert den vorletzten Ball über die Boundary, sechs Runs und das Spiel ist vorbei. Es ist nicht zu fassen. Ich bin froh, dass ich das nicht live verfolgen musste. Südafrika weint, diese Mannschaft hätte Weltmeister werden können, es war ihre beste Zeit. In vier Jahren wird es dieses Team nicht mehr geben.

Cape Town I

Nachdem es mir im Vorfeld meiner Reise nach Südafrika nicht gelungen war, im Internet irgendwelche Informationen über das dortige Schach zu erhalten, kam mir vor Ort der Zufall in Gestalt einer Schachspalte im »Weekend Argus« zur Hilfe. Dort wurde etwas nebulös über ein »2007 Western Cape Students Open« berichtet, welches am nächsten Wochenende in Kapstadt stattfinden sollte. Angegeben waren mehrere Telefonnummern.

Ich nahm einfach die erste Nummer, rief Lyndon Bouah an und schilderte meine Lage: kein Südafrikaner, nur zu Besuch in Western Cape und eigentlich auch kein richtiger Student mehr. Lyndon wollte es mit den anderen Organisatoren besprechen und gab am nächsten Tag grünes Licht für meine Teilnahme.

Am Freitag vor dem Turnier stöberte ich vor dem Einkauf im Pick’n&Pay Claremont noch in einem winzigen Buchladen in einer riesigen Shopping Mall nach Schachbüchern und entdeckte tatsächlich unten im Regal etwas. Ein bisschen Vorbereitung sollte schon sein. Beim Blättern sprach mich auf einmal jemand an:

– Spielst du Schach?
– Ja.
– Spielst du in einem Club?
– Ja, aber nicht hier. In Deutschland.
– Wie heißt du denn?
– So gut spiele ich auch wieder nicht. Du wirst mich nicht kennen.
– Spielst du denn morgen in einem Turnier mit?
– (verwundert) Ja.
– Dann haben wir neulich telefoniert. Ich bin Lyndon Bouah.

Das waren eine ganze Menge Zufälle, erst recht bei näherer Betrachtung. Aber auf diese Weise lernte ich den Vizepräsidenten des südafrikanischen Schachverbandes kennen.

Der Rest ist schnell erzählt. Mit deutscher Überpünktlichkeit fand ich am Samstag das Kramer Building auf dem Campus der Universität, in dem seit vielen Jahren Juristen ausgebildet werden, nach dem Abschlussfotos zu urteilen, jahrzehntelang Weiße, inzwischen auch einige Farbige und Schwarze. Der (schwarze) Wachmann wusste jedenfalls nichts von einem Schachturnier (»What a funny game!«), durchstreifte mit mir aber das gesamte Gebäude, fragte unermüdlich alle Angestellten und führte mich schließlich in ein fensterloses Zimmerchen in der fünften Etage. Überhaupt wussten wohl nicht allzu viele von dem Turnier, schließlich fanden sich 14 Spieler ein und nach kurzer Diskussion über den Modus wurde beschlossen, fünf Runden Schweizer System mit 30 Minuten Bedenkzeit zu spielen, damit man am Nachmittag noch zum Rugby gehen konnte (Stormers gegen Blues 32-20, ein aufregendes Spiel).