Schlagwort: Science Fiction

On the Beach

Ich hatte mich auf das Morrissey-Konzert gewissenhaft vorbereitet. Ich hatte einen Streamingdienst abonniert, die Setlist seiner laufenden Tour nachgeschlagen, und aus den in Betracht kommenden Stücken eine Playlist zusammengestellt, die ich wochenlang gehört hatte. Wir waren rechtzeitig an der Halle, wir waren in der Schlange weit vorn, als der Einlass begann, wir warteten über zwei Stunden vor der Bühne, bis das Konzert endlich anfing, wir standen weit vorn, in der fünften Reihe, dort, wo die Leute jeden Song mitsingen, wo die Leute die ganze Europatour mitreisen und nicht nur zu einem Konzert nach Berlin, man muss schon textsicher sein, wenn man dort nicht auffallen möchte.

Auf jedem Morrissey-Konzert läuft natürlich Everyday Is Like Sunday. Bei meiner Vorbereitung war ich auf den Hinweis gestoßen, dass der seltsame und bedrückende Songtext auf den Roman On the Beach von Nevil Shute zurückgeht. Also habe ich das Buch gelesen. Es ist eine apokalyptische Science-Fiction-Geschichte von 1957, und ja: Das Buch ist bedrückend wie nur irgendetwas. Nach einem Atomkrieg auf der Nordhalbkugel warten die Leute in Melbourne darauf, dass der nukleare Fallout bei ihnen ankommt. Melbourne ist die südlichste Großstadt der Welt, die Geschichte dauert mehrere Monate lang und sie unternimmt währenddessen noch nicht einmal den Versuch, so etwas wie Hoffnung zu erzeugen. Es gibt zwar eine U-Boot-Expedition nach Norden, doch diese kann auch nur die vollständige Zerstörung der menschlichen Zivilisation dokumentieren. Es ist bewegend, den Leuten dabei zuzusehen, wie sie bei all dieser Aussicht ihre Würde bewahren, indem sie ihr Leben fortsetzen, ihren Garten bestellen, eine Ausbildung anfangen, militärische Protokolle befolgen, segeln, trinken, Autorennen fahren, fischen gehen, bei ihrer Familie bleiben, sich unterstützen, sich lieben, aufrichtig bleiben. So einfach ist das.

And a strange dust lands on your hands
And on your face

Jetzt weiß ich, welchen Staub der Text meint.

Ich glaube, Morrissey hatte an diesem Abend keine große Lust auf den Song, auf den alle gewartet hatten. Er sang

Everyday is like Sunday
Tell me quando, quando, quando

und ließ meine Vorbereitung ins Leere laufen. Aber während ich das schreibe, merke ich, dass die Frage Bedeutung hat.

Zoë Beck: Memoria. Alle paar Wochen kommt T. vorbei und holt sich die Zeitung ab. Deshalb schneide ich die Buchrezensionen, die mich interessieren, nicht mehr aus, sondern fotografiere sie ab. Ich weiß nicht, wie lange dieser Workflow noch funktionieren wird. Die Zustellung der Zeitung wird immer unzuverlässiger. Für eine Zeitung, die nur an zwei von drei Tagen im Briefkasten liegt, ist das Abonnement ziemlich teuer. Vielleicht sollte ich lieber digital lesen, aber dafür fehlt mir ein vernünftiges Endgerät und die Weitergabe wird auch problematisch. Jedenfalls habe ich das neue Buch von Zoë Beck nicht gefunden und musste im Laden unter Zuhilfenahme der fotografierten Rezension danach fragen. Es stand nicht unter Science Fiction, sondern unter Spannung, damit hatte ich nicht gerechnet.

Aniara ist ein schwedischer Science-Fiction-Film mit einem bekannten Thema. Die Menschen müssen die Erde verlassen und siedeln massenhaft auf den Mars um, mit einem Raumschiff, das wie eine Kreuzung aus Hotel und Einkaufszentrum aussieht, wie ein Kreuzfahrtschiff also. Unterwegs passiert ein Unglück, in dessen Folge das Schiff antriebslos in das All hinaustreibt. Sehr bleich, sehr dunkel, sehr ausweglos. Die Geschichte entgeht der Verlockung, eine Rettung zu zeigen. Ich war beeindruckt und geriet beim Nachlesen direkt in ein Rabbit Hole. Der Film entstand nach einem Versepos von Harry Martinson aus dem Jahr 1956. Das Werk gehört zum Kanon der skandinavischen Kultur und ist an mir bisher völlig vorbeigegangen. Kommt demnächst mit der Post.