Schlagwort: Ringo Starr

Neue Musik 2023

Man soll ja nicht nur in der Vergangenheit leben. Diesen weisen Ratschlag beherzige ich seit einigen Jahren und höre seitdem wieder neue Musik. Hier sind die Alben, die in diesem Jahr erschienen und Teil meiner Sammlung geworden sind, in chronologischer Reihenfolge des Erwerbs.

1. Element of Crime: Morgens um vier

Ich bin so alt, ich kenne die Band noch aus der Zeit, in der sie englische Texte hatte. Im Grunde haben sie genau einen Song, aber in hunderten wunderbaren Variationen. Außerdem habe ich in diesem Jahr wieder einmal ein Konzert von ihnen gesehen.

2. Håkan Hellström: Poetiska försök

Die Platte habe ich aus Göteborg mitgebracht. Håkan Hellström muss man einfach lieben. Für seine Songs bedient er sich reichlich in der Musikgeschichte, der Sound ist unverkennbar und das Schwedisch ist einfach schön: Och vem vill vara din vän / När du har tappat glansen. In Schweden ist Hellström ein Superstar und wir haben ihn auch schon gesehen, direkt vor uns, aber das ist eine andere Geschichte.

3. Sam Burton: Dear Departed

Einmalig warme Westküstenmusik, aber leider bin ich beim Hören noch immer befangen, seitdem ich mit dem Musiker auf Instagram ein paar Nachrichten über ein politisches Thema gewechselt habe (immerhin hat er mir ausführlich geantwortet). Ich hoffe, das ändert sich wieder, weil ich seine Musik sehr liebe. Gelernt: Besser keinen Musikern auf Social Media folgen oder wenigstens ihre Instagram-Stories auslassen.

4. Blur: The Ballad of Darren

Gut zu sehen, dass eine Band auch in Würde alt werden kann. Mein erstes Album von Blur.

5. Spencer Collum’s Coin Collection 2

Kingdom Weather gehört und unmittelbar darauf Spencer Collum’s Coin Collection 1 bestellt, auf der der Song aber gar nicht ist. Jetzt habe ich beide Platten von ihm, noch besser. Spencer Cullum ist ein Brite, der als Studiomusiker in Nashville Pedal Steel spielt und auf einmal seine eigenen Songs herausbringt.

6. Ringo Starr: Rewind Forward

Ringo macht seit drei Jahren nur noch EPs, ich mag das Format. Das ist die vierte EP, die aus dieser Reihe musikalisch am interessantesten ist, wenn nicht das Thema Auto-Tune überdeutlich wäre. Aber solange er noch selbst trommelt, ist alles gut.

7. The Beatles: Now and Then

Ganz klar die aufregendste Veröffentlichung des Jahres für mich. Das Demo von John Lennon war ja allgemein bekannt und beim ersten Hören des fertigen Songs stellte sich etwas Enttäuschung ein, weil Paul McCartney Johns Bridge einfach weggelassen hatte. Aber inzwischen habe ich meinen Frieden mit der Single gemacht, die eine Zeitreise von 1979 über 1995 bis nach 2022 ist. Es ist fantastisch, John noch einmal klar und deutlich zu hören. Und warum sollte ein Beatles-Song von 2022 nicht so produziert werden, wie heute Musik produziert wird?

8. Anna St. Louis: In The Air

Ganz sicher das Album, das ich in diesem Jahr am meisten gehört habe. Wunderbare Harmonien, warme Produktion, sonnige Westküste. Lieblingslied: Rest

9. The Lemon Twigs: Everything Harmony

Wenn wir gerade bei Harmonien sind. Als ich die Platte auf den Tresen legte, sagte der Verkäufer aus dem Laden in der Leipziger Südstadt, endlich kauft die mal jemand, die steht schon seit Wochen im Regal und dabei ist die so schön, und ich kann ihm aus vollem Herzen zustimmen.

10. Slow Leaves: Meantime

Ich erkenne ein Muster.

11. Roger Joseph Manning Jr.: Radio Daze & Clamping

Roger Manning war die eine Hälfte von Jellyfish. Wenn ich mir Andy Sturmer hinzudenke, kommen mir die Tränen. Aber besser als nichts.

12. Sufjan Stevens: Javelin

Dieses Album habe ich zu Weihnachten zugleich verschenkt und geschenkt bekommen, was ein gutes Zeichen ist. Ich kannte Stevens bis vor vier Wochen noch nicht. Ich stehe noch ganz am Anfang.

13. Peter Gabriel: I/O

Im Sommer auf der Waldbühne gesehen, die Platte zum Konzert war noch ein Weihnachtsgeschenk.

Rewind Ringo (9)

Diese Episode schiebe ich schon eine ganze Weile vor mir her. Nicht ganz so lange, wie Ringo für dieses Album gebraucht hat – zwischen Old Wave und Time Takes Time liegen immerhin neun Jahre, die Gründung von Ringo Starr & His All-Starr Band und mindestens eine erfolgreiche Entziehungskur.

Vielleicht gibt es Gründe für mein Zögern. Time Takes Time gilt allgemein als eines der besten Alben von Ringo, aber ich bin mir da nicht so sicher. In den Rankings taucht es normalerweise an dritter Stelle auf (hinter Ringo und Goodnight Vienna, die beide schon in dieser Serie behandelt wurden). Tatsächlich war das Album eine Art Comeback, die 80er Jahre, mit denen sich die Ex-Beatles so schwergetan hatten, waren endlich vorbei. Ich erinnere mich sogar, dass ich die Platte 1992 in einem Geschäft gesehen habe, als sie herauskam.

Ringo versuchte ein neues Konzept und arbeitete für das Album mit verschiedenen Songwritern und Produzenten zusammen. Tatsächlich klingt alles zeitgemäß und sauber, aber der alte, rumpelige Charme ist ein wenig verloren gegangen

Die Single war Weight of the World. Das Stück hat wahrscheinlich jeder schon mal gehört. Der Song hat ein Riff für die Ewigkeit. Er lief auf MTV und war sogar in den Charts. Aber die eigentliche Sensation sind aus meiner Sicht die beiden Jungs, die im Video im Hintergrund herumturnen: Auf dem Album sind Andy Sturmer und Roger Manning von Jellyfish. Der große Harry Nilsson (der selbst einen letzten Auftritt auf der Platte hat) mochte die Band, vielleicht hat er sie seinem Saufkumpanen Ringo Starr vorgestellt, ich weiß es nicht. Ich mag es aber, wenn sich Kreise schließen.

Und deshalb ist I don’t believe you von Sturmer/Manning mein Lieblingssong auf dieser Platte. 1993 sollten Jellyfish ihr zweites und letztes Album Spilt Milk herausbringen, das absolut großartig und viel mehr Beatles ist als das, was heute hier besprochen werden soll. Inzwischen wurden auch die Demos aller vier Songs veröffentlicht, die sie für Ringo Starr geschrieben hatten. Wenn sie laufen, höre ich in Gedanken Ringo singen. Jellyfish haben verstanden, welche Musik zu ihm passt. Aber das ist ein anderes Thema.

Rewind Ringo (8)

Old Wave hat eine außergewöhnliche Editionsgeschichte. Aus verwirrenden Gründen, die mit den Plattenverträgen von Ringo zu tun hatten, erschien das Album 1983 nicht in Großbritannien und in den USA, sondern nur in Deutschland, Kanada, Australien und einer Handvoll weiterer Länder. Das Vinyl ist deswegen einigermaßen selten und das ist wahrscheinlich der Grund, warum das Album in der kleinen Ringo-Szene gern als hidden gem oder underrated bezeichnet wird. Ich bin bei solchen Zuschreibungen eher skeptisch, aber in den letzten Wochen habe ich die Platte wirklich oft und mit Vergnügen gehört, ohne dass sie mir über wurde.

Im Grunde ist es ein Album von Ringos künftigem Schwager Joe Walsh, der es produziert und gut die Hälfte der Songs geschrieben hat. Der Rest sind ein paar Klassiker, die Ringo im Schlaf singen kann. Wenn ich etwas hervorheben soll, ist es vielleicht seine Version von She’s About a Mover von Doug Sahm („Hey, hey!“). An Old Wave ist nichts auszusetzen, Ringo hat eine gute Band beisammen, die das macht, was sie am besten kann. Aber niemand hat es bemerkt.

Das Album ignoriert die beginnenden achtziger Jahre („New Wave“) so gut wie möglich und nimmt damit das voraus, was Ringo in den nächsten Jahren machen würde. Er wird in einem Nebel aus Alkohol von der Bildfläche verschwinden und musikalisch erst zehn Jahre später wieder auftauchen.