Schlagwort: Musik

Einen Freund wiedersehen und mit ihm ein Gespräch über Musik führen

Skalitzer Straße, Privatclub. Leif Vollebekk ist nach Berlin geflogen, hat sechs, sieben Stücke gespielt und entschuldigt sich gerade ein bisschen für seine Zugabe, einen Ray-Charles-Song. Zugaben wären in Kanada nicht so üblich und überhaupt sei es ein wenig unhöflich, den nächsten Künstler zu lange warten zu lassen.

– Ich meine, ich bin jetzt zweihundert Kilometer gefahren, um Leif Vollebekk zu sehen und dann ist er nur die Vorband.
– Das ist okay. Ich bin mal nach Hamburg zu Thomas Dybdahl gefahren, der war auch nur Vorprogramm.
– Für wen denn?
– Das weiß ich gar nicht mehr.

Musik

… als wir an diesem Juniabend aus unserem Aufgang in der Kräpeliner Wende in das Studentenwohnheim im Ernst-Thälmann-Ring hinübergingen, quer über den Parkplatz, als wir an den Sprelacart-Tischen im Klubraum saßen und Pink Floyds Wish You Were Here hörten, als wir jede Note von David Gilmours Gitarre mitsingen konnten, als der Student die Songtexte mit Schreibmaschine abgeschrieben und die Originalplatte mit dem Originalcover und den Originalfotos auf der Innenhülle abfotografiert hatte und als er das jetzt alles als Dia auf das Laken an der Wand projizierte und es eine so ungeheure Bedeutung für uns hatte …

Als wir Piraten waren

Musik war ein großes Problem. Es gab keine Musik, also wenn man nicht gerade Klassik hörte. Die eine Hälfte gab es nicht und die andere Hälfte war verboten, so ungefähr. Alle zwei Wochen gab es neue Lizenzplatten im Geschäft in der Steinbeckerstraße. Wir gingen nach der Schule da hin, mit einem Zwanzigmarkschein in der Tasche und stellten uns an. Um drei machte der Plattenladen wieder auf und wir kauften, was es eben so gab, für 16,10 Mark. Die zehn Pfennig waren der Kulturgroschen, deswegen der komische Preis. Auf diese Weise kam ich zu Barcley James Harvest und Vangelis. Nicht, dass ich das je gehört hätte.

Es gab aber Kassetten. Eine C60 von ORWO kostete 20 Mark, keine Ahnung, warum die so teuer waren. Kassetten kauften wir deshalb lieber im Intershop von dem Geld, das der Westbesuch dagelassen hatte. Eine Neunziger für 3,50 West. Da gab es auf einmal auch Auswahl: Chrome oder Ferro, den Unterschied habe ich nie ganz verstanden. Etwas mit dem Klang oder den Bässen oder so. Anschließend wurde überspielt, die Platten aus dem Westen, die Platten aus der Tschecheslowakei, die Platten aus Bulgarien. Bei Bulgaroton gab es sogar das »White Album«, glaube ich. War aber eine weite Reise. Wer richtig Geld hatte, konnte in Ungarn alles kaufen, zum Gulaschkommunismus gehörten offenbar auch Westplatten. Abgedrehter war es da nur noch, Platten aus Rumänien oder von Melodija zu haben. Die Russen hatten so durchsichtige schlapprige Singles aus hellplauer Plaste. Und Polen war damals schon zu, wegen Solidarność. Czesław Niemen zu hören, war also auch eine Art Untergrund.

Musik war kein Problem. Es gab genug Musik. Man brauchte nur Kassetten, ein Überspielkabel und Zugang zu den richtigen Leuten. Den Leuten mit den Platten. Alle anderen mussten von Kassette überspielen, mit Überspielkabel oder besser im Doppeldeck, von einem, der auch von Kassette überspielt hatte und so weiter und so fort. So entstanden die rumpeligen verrauschten Aufnahmen von Udo Lindenberg, die auf dem Schulhof liefen. Schließlich hatten sie beim Radio ein Einsehen und erfanden »Duett – Musik für den Rekorder«, um den Leuten das Aufnehmen leichter zu machen. Wir haben die Musik kopiert. Heutzutage würde man dafür wahrscheinlich ins Gefängnis kommen oder sie stellen einem das Internet ab.

»Ich brauche keine Wiedervereinigung. Ich will nur meine Musik hören und den ›Metal Hammer‹ lesen können, das reicht mir«, sagte der Soldat auf meiner Stube, als er sein Parteibuch zurückschickte und dabei fast zu weinen anfing. Musik war ein großes Problem.