Eine unerwartete und unmittelbare Angst ergriff uns, als als wir auf der Reise zu einer Konferenz des europäischen Netzwerks für Kulturzeitschriften Eurozine auf der Fähre zwischen Karlskrona und Gdynia übernachteten. Das moderne Reisen, das oft in einem Klima kommerzieller Ablenkung und künstlicher Sicherheit geschieht, vermochte diese Illusion bei Windstärke 7 auf der Ostsee nicht richtig aufrechtzuerhalten. Uns ist bewusst, dass dieser Wind noch verhältnismäßig schwach war und dass alle, die auf dem Meer arbeiten und zumal jene, die aus vollkommen anderen und viel zwingenderen Gründen als wir das Meer überqueren müssen, viel größeren Anlass zu Todesangst haben. Aber nichtsdestotrotz. Wir lagen in der Kabine in unseren schmalen Etagenbetten und erlebten wieder und wieder das schwindelnde Gefühl der Schwerelosigkeit, das entstand, bevor die Gravitation ein weiteres Mal die Fähre und uns in eines der tiefen Wellentäler hinunter schickte. Auf dem Autodeck gingen die Alarmanlagen an und wir dachten an das, was wir über die Panik auf der Estonia gelesen hatten: dass die Menschen, als sie sich beim Kampf auf das Deck zu kommen auf den engen Fluren übereinander pressten, überhaupt nicht sprachen, sondern nur noch dumpfe Laute von sich gaben, wie Tiere. Wir versuchten nicht daran zu denken, dass wir nun selbst an einer solchen Stelle waren: inmitten eines Schiffsbauchs aus Blech auf einer unendlichen, dunklen Fläche aus schaukelnder See.

– aus: Ann Ighe und Marit Kapla: Redaktionelle Einleitung, Ord&Bild 5:2016