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Harry Martinson: Aniara

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Der Leitende Astronom zeigt uns das Bild
einer Galaxie, die sich entfernt,
und viele fallen auf die Knie und
beginnen zu beten: Nähere uns wieder an, o Herr!
Sie gehören zur galaktischen Gemeinschaft.
Als ich sie beten sehe, erinnere ich mich an
die Beschreibung der großen Hochebene Doraima
durch die Schwester Nobia.
Die Nachbargalaxie von Andromeda scheint dort
in klaren Nächten kunstvoll vergrößert
– von den Dächern der acht Städte aus zu sehen –
aus einem kilometerbreiten Riesenspiegel zu leuchten,
gleichsam ein Goldfisch für die Leute von Doraima.

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Die Galaxie schwingt im Kreis
wie ein Rad aus leuchtendem Rauch.
Der Rauch, das sind die Sterne.
Sonnenrauch.
Wir haben kein anderes Wort, deshalb sagen wir Sonnenrauch,
verstehst du.
Die Sprachen genügen nicht mehr,
für das, was unsere Sinne aufnehmen.

Die größte Sprache, die wir kennen,
Xinombrisch, hat drei Millionen Wörter,
aber die Galaxie, die du gerade ansiehst,
hat mehr als neunzig Milliarden Sonnen.
Gab es jemals ein Gehirn, das alle Wörter
aus der Sprache Xinombras kannte.
Kein einziges.
Jetzt verstehst du.
Und verstehst nicht.

Übertragen nach Harry Martinson: Aniara (Stockholm 2004)

#211

Aniara ist ein schwedischer Science-Fiction-Film mit einem bekannten Thema. Die Menschen müssen die Erde verlassen und siedeln massenhaft auf den Mars um, mit einem Raumschiff, das wie eine Kreuzung aus Hotel und Einkaufszentrum aussieht, wie ein Kreuzfahrtschiff also. Unterwegs passiert ein Unglück, in dessen Folge das Schiff antriebslos in das All hinaustreibt. Sehr bleich, sehr dunkel, sehr ausweglos. Die Geschichte entgeht der Verlockung, eine Rettung zu zeigen. Ich war beeindruckt und geriet beim Nachlesen direkt in ein Rabbit Hole. Der Film entstand nach einem Versepos von Harry Martinson aus dem Jahr 1956. Das Werk gehört zum Kanon der skandinavischen Kultur und ist an mir bisher völlig vorbeigegangen. Kommt demnächst mit der Post.