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In Vorbereitung auf den Sommer die Bornholmer Novellen von Martin Andersen Nexö gelesen. In Nexø gibt es ein Nexö-Museum, Nexø liegt in Reichweite für eine Radtour. Das passt gut.

Von Andersen Nexö kannte ich noch gar nichts, nicht mal Pelle, den Eroberer. Die Novellen waren beeindruckend. Kleine Leute, die einen verbissenen Kampf gegen Armut, Hunger, Krankheit und Tod führen, mit wenig Erfolg. Fischer, Arbeiter, Seeleute, Erweckte auf der Suche nach Würde. Man wünscht sich förmlich, dass endlich die Socialdemokraterne auf der politischen Bühne erscheinen und dem ganzen Elend ein Ende machen. Diesen Wunsch hervorzurufen, ohne die Arbeiterbewegung auch nur ein einziges Mal zu erwähnen, ist vielleicht die Kunst dieser Geschichten.

Andersen Nexö ist nur antiquarisch zu bekommen, daher hatte ich die illustrierte und gebundene Ausgabe von Aufbau. Ein schönes Buch.

Zu Bornholm gehört dann natürlich noch Fluss ohne Ufer, aber das muss warten.

Wißt ihr, was ich manchmal denke, ich denke manchmal, das ist ein Museum hier, dieses ganze Land ist ein einziges Museum, wir merken das bloß nicht, wir machen alles so weiter, wie wir es immer gemacht haben, seit vier Jahrzehnten, die ganze Welt hat sich weiterentwickelt, und wir machen immer noch das gleiche und nennen es immer noch Sozialismus, die Städte verfallen, die Landschaft verödet, wir haben die vorsintflutlichsten Autos, wir produzieren in Fabriken, die hundert Jahre alt sind und älter, wir haben die stinkendsten Flüsse, sie sehen aus wie ungenießbares gelbes Bier mit ihren Schaumkronen, und wir reden immer noch dasselbe, die Übereinstimmung von individuellen und gesellschaftlichen Interessen, und alles für das Wohl des Volkes, wir haben noch die gleichen Losungen, mitplanen, mitarbeiten, mitregieren, höhere Leistungen in jedem Stall, die ganze Welt lacht über uns, und wir merken das nicht einmal, und sie kommen von nah und fern, und sie sehen sich das an, sie bezahlen Eintritt ins Sozialismus-Museum, fünfundzwanzig Mark pro Tag, was wir in Verkennung der ungeheuerlichen Tatsachen Mindestumtausch nennen, und sie werden plaziert in den Gaststätten, und sie glotzen uns an wie ein Weltwunder, die Schrippe für fünf Pfennig, die Straßenbahn für zwanzig Pfennig, der Strompreis lächerlich gering, dafür die verpeststeste Luft Europas, die Mieten ein Spottgeld, das Wertgesetz außer Kraft gesetzt, und alles ist grau, selbst die Menschen sind grau und lustlos, sie nehmen, resigniert und lethargisch, das verordnete Glück kaum noch wahr, das reale Museum einer überholten Denkweise, findet ihr nicht auch?

– Bernd Schirmer: Cahlenberg

Beim Wiederlesen der Schachnovelle: Stefan Zweig trifft den Punkt sehr gut. Schach ist Mustererkennung. Großmeister hebt diese Fähigkeit heraus (Magnus Carlsen ist das aktuelle Beispiel dafür), nicht ihre mechanische Rechenleistung. Dass ein Amateur den Schachweltmeister schlägt, ist eine unerhörte Begebenheit, die aber konkret nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit war, wenn man monatelang Partien memoriert beziehungsweise erfunden hatte.

Nachtrag

1) Vergangenheitsform – im Zeitalter der Schachmaschinen würden selbstgeschaffene Bilder wohl nicht mehr ausreichen, die Programme haben neue Muster geschaffen.

2) Im Go ist das Verhältnis zwischen Rechnen und Bildgedächtnis auf die Spitze getrieben, dort geht es noch mehr um good shape (良い形 yoikatachi).