Kategorie: Weblog

Vom Schweigen

Ich bin jetzt auch bei Googleplus. Ich probiere alles aus. Googleplus ist der neueste Schrei. Zuerst gab es Twitter. Zwischendurch hatte ich den Twitteraccount mal gelöscht, dann aber doch wieder angelegt. Bei Twitter geht alles ganz schnell. Wenn irgendwo irgendwas passiert, sieht du es sofort in deiner Timeline. In Echtzeit (so als ob es unechte Zeit gäbe). Danach kam Facebook (Identi.ca und die ganz kleinen Sachen lasse ich jetzt mal weg, sonst wird es zu unübersichtlich). Bei Facebook sind alle deine Freunde. Deine Freunde, deine Nachbarn, Leute aus der Schule, aus dem Verein, die ganzen Politniks, was weiß ich. Alle sind dort angemeldet, aber keiner schreibt etwas. Das ist das Facebookprinzip. Die Empfänger sind einfach zu verschieden, als dass man allen denselben Text schicken wollte. Da kannst du auch im Bus aufstehen und eine Rede halten. Mir war das dort erst ein bisschen unheimlich und ich löschte mein Profil oder was man so löschen nennt. Inzwischen bin ich wieder angemeldet, naja, wegen der Freunde. Ich bin aber ganz still. Das nächste Ding war Diaspora. Diaspora ist wie Facebook, nur mit Datenschutz und mit Aspekten. Du kannst deine Kontakte (also die Freunde oder wie das eben heißt) in Aspekte packen und dann nur an betimmte Aspekte schreiben. So wie die Kreise bei Googleplus, die haben das nachgemacht oder so. Das macht es allerdings auch nicht einfacher, wenn du die Leute in Schubladen stecken sollst. Und jetzt eben Googleplus. Bei Googleplus sind die coolen Leute, besonders wegen des aufgeräumten Designs und der Technik, nehme ich an. Drag and Drop. In Wirklichkeit sind natürlich alle zugleich bei Twitter, bei Facebook, bei Diaspora und bei Googleplus und posten überall dieselben Texte und Links. Das nennt man Crossposting. Sicher ist sicher, so geht nichts verloren.

Das stimmt natürlich nicht. Twitter war gar nicht zuerst da. Zuerst gab es die Blogs. Blogs sind wie eine eigene Wohnung, ab und zu kommt jemand zu Besuch, guckt sich deine Fotos an und liest, was du geschrieben hast. Wenn er kommentiert, kommt ihr ins Erzählen. Der RSS-Reader sagt dir, ob Licht im Fenster ist, damit du nicht umsonst losläufst. Das Dumme an der eigenen Wohnung ist nur, dass du sie selbst mieten, einrichten und putzen musst. Und manchmal hockst du ganz allein darin. Das Schöne am Social Web ist, dass alles schon fertig ist. Es ist ein Fluss, kein Anfang, kein Ende. Die Leute sind schon da, haben alle ihren eigenen Laden in dieser Passage und strömen unablässig hin und her. Es kostet nichts, es regnet nicht rein und du brauchst nur auf den Avatar zu klicken, um jemanden zu treffen.

Früher, als es noch keine Telefone gab, musste man extra hinfahren und an der Tür klingeln. Neben der Tür hingen eine weiße Kassenrolle und ein Bleistift. Wenn niemand da war, konnte man da eine Nachricht hinterlassen. Damit fing es an.

Im März

Das Erregungspotential von Fukushima ist endlich. Die Aufmerksamkeit nimmt ab, je länger der Unfall andauert und je mehr radioaktive Stoffe aus der Anlage austreten. Die Sender nehmen die Comedy-Shows wieder ins Programm, die Sondersendungen haben aufgehört, die Experten alles gesagt, die Bilder wiederholen sich. Das Thema rutscht auf den Seiten nach unten und schließlich ist inzwischen auch das iPad 2 erschienen. Die Mahnwachen werden kleiner. Euphorisierte Wahlpartys, auf denen niemand ausspricht, dass »Japan geholfen hat«. Parteistrategen im Moment der Kernschmelze. Manchmal der Gedanke, warum nicht längst eine Weltregierung das Kraftwerk übernommen hat. Stattdessen Kapitalverwertung auch in der Katastrophe. Tepco verhandelt über Notkredite.

Ich habe einen Kettenbrief bekommen. Eine Mail mit einem Anhang in Powerpoint. Wie wir die Preistreiber von den Mineralölkonzernen stoppen können. Wir sollten zwei Tankstellenketten boykottieren, dann müssten diese beiden die Preise senken und die anderen nachziehen. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas noch gibt. Als ich Kind war, gab es Kettenbriefe, man sollte zehn Postkarten verschicken oder fünf Briefe mit einer Mark. Es hieß, dass das verboten war, so wie die Hakenkreuze auf dem metallenen Schulhofzaun, aber vielleicht war es auch nur ein Gerücht, wie die Gerüchte im Kindergarten über das plötzliche Ende von Meister Nadelöhr bei »Zu Besuch im Märchenland«. Die einen sagten, er habe »Krebs« und die anderen sagten, er sei »in den Westen« gegangen und ich wusste weder was das eine noch was das andere war.

Ob sie noch die alten Glühbirnen hätten. Sie hatten, sogar Hunderter gab es noch. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, als ich einen Beutel voll mitnahm. Wie ein alter Mann, der sich nicht von einem Industriedenkmal mit einem jämmerlichen Wirkungsgrad verabschieden will. Der große Erfinder Thomas Edison. Der Energieerhaltungssatz.

In meiner Timeline sehe ich, dass der Mann vom Nebentisch in der Sushi-Bar auch twittert.

Eine Begegnung mit Wolfgang Sabath

Diese Geschichte begann im vorletzten Herbst und sie dauerte nicht mal ein Jahr. Eigentlich hatte sie schon ein paar Monate vorher begonnen. Der Buchladen stellte das »Blättchen« an die Kasse, ich kaufte es ein paar Mal und schickte dann aus einer Laune heraus einen kleinen Text hin. Wolfgang Sabath strich die Überschrift zusammen und nahm ihn ins Heft, ohne groß abzuwarten, ob mir noch ein Pseudonym einfallen würde. Als ich den nächsten Text schicken wollte, stellten sie gerade die Zeitschrift ein und da war die Geschichte fast schon wieder vorbei.

Aber jetzt gab es ja das Internet. Ich fragte vorsichtig nach. Ob man das »Blättchen« nicht vorübergehend ins Netz emigrieren könnte? Ein Gedanke, den Wolfgang Sabath natürlich längst selbst gehabt hatte. Ob ich nicht mit der Technik helfen könnte? So ging es hin und her und eines Nachmittags kam Wolfgang Sabath zusammen mit Gerd Kaiser nach Greifswald gefahren. Ein kleiner Mann mit Rauschebart und Mütze, mit fröhlichen, blitzenden Augen, selbstironisch, bescheiden, klug, belesen und mit diesem Berliner Humor. Wir redeten im Café Koeppen zwei, drei Stunden über ein digitales »Blättchen« und wie das wohl aussehen müsste. Wolfgang Sabath erzählte von seinem Journalistenleben, »alles ohne Partei«, von einer Reportagereise nach Greifswald für die Studentenzeitung »Forum«, die dann »wegen Papiermangels« zugemacht wurde, vom »Sonntag«, die Geschichte, als sie 1990 die Klos putzen, weil die Leute von der »ZEIT« gucken kommen wollten und dann wurde doch der »Freitag« daraus. Und er erzählte natürlich vom »Blättchen«, von der Last der Weltbühnen-Tradition (und der Schönheit des Diminutivs), von der Ökonomie, der Auflage, den Autoren, den Lesern und dem Gedicht auf der zweiten Seite, »damit sich die Leute wundern«. Ich schenkte ihm den letzten »Wiecker Boten«, den wir gerade gemacht hatten, einen Gedichtband und er sagte »wie schön«, als er über das Papier strich (er schrieb der Autorin später und wählte drei Gedichte für das »Blättchen« aus). Wir gingen noch ein Stückchen durch die Altstadt und verabschiedeten uns. Und dann ging es wieder schriftlich weiter, hin und her.

In den nächsten Wochen bis zum Jahreswechsel bauten Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski, mein Bruder und ich das Online-Blättchen. Es war eine schöne, euphorische Zeit. Es wurde gut. Die ersten Ausgaben wollte ich noch technisch betreuen und die Sache dann wieder ganz in die Hände der beiden Redakteure geben. Ich schickte einen zweiten Text und war stolz wie ein kleiner Junge, als Wolfgang Sabath ihn lobte. Ob ich nicht in die Redaktion eintreten wolle? Wir müssten uns mal wieder treffen und besprechen, wie es weitergehen solle.

Irgendwann im letzten Frühjahr blieben die E-Mails plötzlich aus. Nach einigen Tagen wurde Heinz Jakubowski unruhig und mir ging es genauso. Wolfgang Sabath musste ins Krankenhaus und konnte nie wieder auf seinen Platz beim »Blättchen« zurückkehren. Ich machte dann doch für ein paar Monate in der Redaktion mit, es war sehr schön, aber es war nicht wie vorher. Es war nicht mehr die alte Geschichte.

Am 6. März 2011 ist Wolfgang Sabath gestorben.