Kategorie: Weblog

Am Ende des Sommers

In der Straße werden Bäume gepflanzt. Maßnahmen, die der Durchführung der Sanierung im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet dienen.

Am 2. September macht Östersunds Posten eine Leserumfrage darüber, ob der erste Schneefall in diesem Jahr zu früh, zu spät oder gerade richtig (lagom) kam. Natürlich gerade richtig.

Im Peetzigsee war noch ein Rest vom Sommer, im Inselsee war schon ein Stück vom Herbst.

Eine Reise nach Güstrow. Barlachs Schwebender. Der Erstguss 1937 entfernt und eingeschmolzen, das Werkmodel im Bombardement zerstört, ein Sicherungsguss durch den Krieg hindurch versteckt. Im Dom hängt ein Drittguss nach dessen Vorlage. Vom Segen des Kopierens.

Am Abend im Bett liegend einen Blogpost formulieren, der am Morgen wieder vergessen ist.

Ein Gedicht übersetzt.

Zeitlupe ist ein schönes temporal-lokales Kompositum.

In einem grauen Friedrichshainer Hinterhof ein Gespräch über Armut und Not. Jeden Augenblick könnte das Reichsbanner am Haus vorbeimarschieren.

Am Ende des Sommers, kurz bevor der Sturm kam, wurde es noch einmal warm.

He died on Sunday morning looking at the trees and doing the famous 21 form of tai chi with just his musician hands moving through the air.

Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist

Eine Insel

Vor der deutschen Ostseeküste liegt eine kleine Insel, die hier nicht sehr bekannt ist, vielleicht, weil sie zu Dänemark gehört und auch nur von dort aus mit dem Schiff zu erreichen ist. Jemand hat mich vom Hafen abgeholt, wir fahren durch die Straßen und er erklärt mir die Insel, als ob wir in einem Imagevideo des Tourismusverbands wären. Auf der höchsten Erhebung im Zentrum des Ortes steht eine Wehrburg aus dem Mittelalter, die während der dänisch-schwedischen Kriege niemals eingenommen wurde. Die Leute wohnen aber inzwischen in fünfstöckigen Plattenbauten, die um die Burg herum gebaut worden sind, sozialer Wohnungsbau aus den siebziger Jahren.

Auf der Insel – und deshalb, ich erinnere mich, bin ich überhaupt hier – findet alljährlich ein Thematurnier zum Blackmar-Diemer-Gambit statt. Artverwandtes ist zugelassen, aber streng reglementiert. Das Alapin-Gambit zum Beispiel darf gespielt werden, der Übergang zur Caro-Kann-Verteidigung ist dagegen verboten und so weiter. Ich frage nach dem Englund-Gambit – dafür gäbe es ein Nebenturnier, bei dem, natürlich, nach Möglichkeit die Sollervariante gespielt werden möge. Ich erfahre zu meiner Überraschung, dass es Diemers Zeitschrift »Blackmar-Gemeinde« noch gibt, allerdings, leider, nur im Internet. Diemer habe die Titelrechte an eine Stiftung übertragen, die seine Schüler leiteten. Die Blackmar-Diemer-Leute haben ein eigenes Ratingsystem entwickelt, das sich nur aus der Auswertung dieser Turniere – es gäbe noch weitere, aber ich solle erst einmal bei diesem teilnehmen, alles weitere werde ich dort erfahren – ergibt.

Überhaupt seien die Menschen auf der Insel sehr eigen und häufig im Streit mit der dänischen Krone, die in solchen Fällen häufig die Lebensmittellieferungen – es gibt auf dem kleinen Felsen keinen Flughafen und deshalb für jegliche Güter nur den Seeweg – stoppe. Aber die Leute auf der Insel könnten sich selbst versorgen und ich frage mich, womit eigentlich. Es ist Winter und vor den Häusern liegt matschiger, schmutziger Schnee.

Der Name der Insel entfällt mir sofort nach dem Aufwachen, es war ein sehr bekannter Name, so etwas wie Bornholm, aber eben nicht das Bornholm, sondern ein anderes, viel kleiner und fast unbekannt. Ich ärgere mich, nicht nach der Adresse der Seite gefragt zu haben. Die Suchmaschinen zeigen nichts an.

Anklam

Am Montag nach der Wahl mit M. unterwegs über Land, um die Wahlplakate abzunehmen, die traurig und wie aus der Zeit gefallen an den Laternenmasten hängen. Wir fahren eine große Runde über Kemnitz, Katzow, Hohendorf, Bauer Wehrland und Lassan nach Anklam. Einen Teil der Arbeit haben die anderen längst für uns erledigt, trotzdem ist das Auto schon einigermaßen voll, als wir mit der Stadt fertig sind. Wir suchen den Wertstoffhof, um Platz für den Rest der Tour zu schaffen – Gützkow, Jarmen, Tutow, Loitz, Görmin und noch so ein paar andere gottverlassene Orte.

Die Wegbeschreibung ist aus dem Internet, wir fahren über die Brücke, danach rechts ab, nochmal rechts in Richtung Peene und von dort nach links, vorbei an den Bootshäusern, bis es nicht mehr weiter geht. Dort ist ein Hof mit Containern und alten Reifen und einem Lagerhaus, aber nirgends ein Schild. Das Tor steht offen. M. steigt aus, um nachzufragen, ob wir hier richtig sind, geht durch eine angelehnte Tür in das Haus und verschwindet. Eine Katze läuft über den Hof, sonst passiert nichts. Mittags, die Sonne scheint und es ist ganz ruhig.

Ich warte fünf Minuten und trommle mit den Fingern auf dem Lenkrad, bis ich mich ein bisschen wie in einem Roadmovie fühle (Perdita Durango bei diesem Banküberfall) und gehe hinterher. Hinter der Tür ist ein großer Raum. M. hat einen Stapel aus Bücher und Broschüren und sonstwas in den Händen und redet mit einer freundlichen Frau um die 60 mit Haaren im Gesicht. Wir sind in einer Art Betsaal, an der Wand hängt eine Reproduktion des Abendmahls und auf dem Tisch liegt eine aufgeschlagene Bibel. Er sei eine verlorene Seele, es sei kein Zufall, dass er vom Wege abgekommen und gerade hierher gekommen sei, die Piratenpartei sei auch keine Lösung, weil sie sich nur mit den weltlichen Dingen beschäftige und nicht mit den geistigen. Und der Wertstoffhof sei hinter dem Autohaus. M. nimmt alles mit, ein Neues Testament in irgendeiner letztgültigen Übertragung irgendeiner letztgültigen Missionsgesellschaft, Zettel, eine CD und ich ziehe ihn ein fast wenig nach draußen – wir haben ja wirklich noch zu tun, den Wertstoffhof finden, die Plakate ausladen und dann Richtung Gützkow, Jarmen und so weiter, die ganze Strecke.