Kategorie: Weblog

Rostock, Gedser, Malmö

Westliche Ostsee: West 7 bis 8, vorübergehend nordwestdrehend, abnehmend 6, anfangs teils schwere Schauer- und Gewitterböen, See 2 bis 4 Meter.



In der Nacht gab es Sturm, die Fähre verspätet sich. Im Rostocker Stadthafen liegt die M/S Trelleborg fest, anstatt ihren Dienst auf der Königslinie zu tun. Nur deshalb sind wir hier.

Mit Ausnahme der beiden Brücken nach Farø ist die Strecke zwischen Gedser und Kopenhagen an einem tristen Dezembertag auf eine unglaubliche Weise eintönig. Wenn die Dänen das glücklichste Volk der Welt sind, muss das eine Trotzreaktion sein.

Der Akademibokhandeln ist ins Triangeln gezogen, Hamrelius bokhandel ins Caroli. Damit sind alle Buchläden in Malmö in Shoppingmalls ausgewandert und das Stadtzentrum ist literaturfrei.

Der Weihnachtsmarkt auf dem Gustavs Adolfs torg ist nur eine Bühne, ein Kinderkarussell, ein paar Holzbuden und hunderte Fackeln. Es regnet ein bisschen und so ist es sehr schön.

Der Maxi ICA im Westhafen nimmt die Mariestads-Flaschen, die ich im vorletzten Sommer mit E. ausgetrunken hatte, nicht mehr zurück. Die Musikabteilung ist auf ein winziges Regal geschrumpft. Alla har ju spotify.

– Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?
– Nicht seekrank zu werden!

Am Abend ist der Sturm zurückgekehrt. Die Böen ruckeln am Schiff. Wintersonnenwende.

Oie

Als wir an der Ostküste am Steilufer einen Rastplatz fanden, mit einem betonierten Tisch aus diesen grauen Gehwegplatten, dachte ich an meine Zeit in der Telefonzentrale der Volksmarine Peenemünde. Damals war die Greifswalder Oie militärisches Sperrgebiet und ich erinnerte mich an ein Gespräch mit einem armen Matrosen, der wegen des Sturms seinen Heimaturlaub absagen musste. Hier hatte er auch manchmal gestanden und auf das Meer hinausgesehen, dachte ich.

Einberufung

Und dann stand ich ganz allein auf dem Hof des Wehrkreiskommandos.

Es war der 1. November 1989. Ich war frühmorgens mit dem Bus nach Ribnitz gefahren, den Einberufungsbefehl zum Ehrendienst in der Tasche, um für die kommenden 18 Monate Personalausweis und Zivilkleidung gegen eine Hundemarke und eine Uniform einzutauschen. Kein guter Tausch, aber immerhin: gegen eine blaue Uniform.

Eigentlich war ich für eine grüne Uniform vorgesehen: Bereitschaftspolizei in Stralsund. Nicht nur, dass die Uniformen hässlich waren, die Leute auf der Straße hielten dich auch noch für einen Volkspolizisten statt für das arme Schwein, das seinen Grundwehrdienst machen musste. Aber vor ein paar Wochen hatten sie mich noch mal einbestellt, »zur Klärung eines Sachverhalts«, in das Wehrkreiskommando, auf dessen Hof ich jetzt stand. Ich hätte die Sache mit meinem Bruder ja sicher gehört und obwohl es ja kein politischer Antrag sei, sondern aus … humanitären Gründen, würde ich doch sicher verstehen, dass ich unter diesen Umständen – und das sei keine Sippenhaft – natürlich nicht, aber eben doch eine enge familiäre Bindung … nicht mehr zur Bereitschaftspolizei, die doch in mancherlei Hinsicht besondere Anforderungen … jedenfalls sei ich jetzt für die Volksmarine vorgesehen. Ich war nicht gerade unglücklich über diese bürokratische Wendung, machte aber sicherheitshalber trotzdem ein ernstes Gesicht.

Und jetzt stand ich auf dem Hof, in der Jacke der Personalausweis, zwischen den Füßen die Sporttasche mit meinen Sachen. Alle anderen waren schon aufgerufen worden und in ihre »Einheiten weggetreten«. Offenbar war ich versehentlich aus der grünen Liste gestrichen und in die blaue Liste noch nicht aufgenommen worden. Für eine Sekunde glomm die vage Hoffnung auf, irgendwie durchgeschlüpft zu sein. Der Offizier kam auf mich zu.

– Wer sind Sie denn?
– Also wenn ich nicht gebraucht werde, kann ich auch wieder gehen.
– Ihren Namen, Genosse!

Es war ganz klar nicht der richtige Zeitpunkt, um Witze zu machen. Der Offizier ging in sein Büro und nach fünf Minuten stand ich bei den anderen armen Schweinen, die zum Rügendammbahnhof fuhren und dann auf den Dänholm marschieren mussten, um die blaue Uniform anzuziehen.