Kategorie: Schreibtisch

Tammy Ho Lai Ming: Bilder

Es war eine Art Hütte, strohgedeckt. Draußen,
die Autos fegten vorbei, die Straße war immer frei.
Oder vielleicht war es keine Hütte, sondern ein Holzhaus.
Klein, ärmlich. Aus Stein möglicherweise?

Mit meinen Fachworten kann ich diese Stelle nicht wiederaufbauen;
es gibt keine Bilder mehr, um meine Zeichnung abzugleichen.
Ich war keine drei, Raum und Zeit erst halb bewusst.
Und meine Zwillingsschwester, jünger als ich,

sah wie ein Gangsta aus, trug Second-Hand-Schlafanzüge.
Einmal spielten sie mit den Dottern zerbrochener Eier,
eine Kalligraphie auf dem Zementfußboden. Davon haben wir ein Foto.
Es gibt keine Spur von mir auf diesem Familienbild,

aber ich war überzeugt, dass ich dort irgendwo sein musste,
in genau diesem Raum. Viele Jahre lang stellte ich mir vor,
wie ich hinter einem Schrank oder einem Besen stehe und
verzückt auf meine Schwester und ihr Spielzeug schaue:

Muscheln, Papierschnipsel, Staubflusen. Später erzählte man mir,
dass meine viel zu junge Mutter, sie war zweiundzwanzig,
es nicht mit drei Kindern zugleich in einem Haus schaffte
und mich in ein Dorf auf Mainland geschickt hatte.

Ich war nicht dort, als das Foto gemacht wurde.

Übersetzt nach Tammy Ho Lai-Ming: Frames.

Fünfundsechzig Haiku-Regeln

Siebzehn Silben in einer Zeile.

Siebzehn Silben, in drei Zeilen geschrieben.

Siebzehn Silben, in drei Zeilen geschrieben, geteilt in fünf-sieben-fünf.

Siebzehn Silben, in eine vertikale (linksbündige oder zentrierte) Zeile geschrieben.

Weniger als siebzehn Silben, in drei Zeilen geschrieben, geteilt in kurz-lang-kurz.

Weniger als siebzehn Silben, in drei vertikale Zeilen geschrieben, geteilt in kurz-lang-kurz (Ala Barry Semegran).

Schreibe, was in einem Atemzug gesagt werden kann.

Verwende ein Jahreszeitenwort (kigo) oder einen jahreszeitlichen Bezug.

Verwende eine Zäsur am Ende der ersten oder der zweiten Zeile, aber nicht an beiden.

Bilde niemals einen ganzen oder zusammengesetzten Satz aus allen drei Zeilen.

Nimm zwei Bilder, die nur vergleichbar sind, wenn das dritte Bild hinzukommt.

Nimm zwei Bilder, die nur assoziativ sind, wenn das dritte Bild hinzukommt.

Nimm zwei Bilder, die nur konstrastrieren, wenn das dritte Bild hinzukommt.

Schreibe immer im Präsens.

Verwende Personalprogramm nur begrenzt oder gar nicht.

Schreibe Personalpronomen immer klein.

Entferne alle Substantivierungen.

Schau auf die Artikel. Benutzt du zu viele? Zu wenige? Gleichmäßig in einem Gedicht?

Verwende den gewöhnlichen Satzbau in beiden Sätzen.

Verwende Satzteile.

Schau auf die Reihenfolge der Bilder. Zuerst Weitwinkel, dann einen mittleren Ausschnitt und zuletzt die Nahaufnahme.

Warte mit der Pointe bis zur letzte Zeile.

Suche Faszination und einen Blickfang für die erste Zeile.

Schreibe einfach auf gewöhnliche Weise in einer gewöhnlichen Sprache über gewöhnliche Dinge.

Schau dir Zen an und lass dein Haiku ohne Worte Bilder schaffen.

Schau dir eine Religion oder eine Philosophie an und lass sie ein Echo im Hintergrund deines Haiku sein.

Verwende nur konkrete Bilder.

Erfinde einen lyrischen Ausdruck für das Bild.

Versuche mehrere Bedeutungsebenen in das Haiku zu bringen. Auf der Oberfläche sind einfache Bilder, darunter Philosophie oder Erkenntnis.

Verwende Bilder, die eine einfache dörfliche Abgeschiedenheit oder eine herkömmliche Armut hervorrufen (sabi).

Verwende Bilder, die ein klassisches vornehmes Getrenntsein hervorrufen (shubumi).

Verwende Bilder, die nostalgische romantische Bilder hervorrufen. Entsagende Schönheit (wabi).

Verwende Bilder, die ein rätselhaftes Alleinsein hervorrufen (yugen).

Verwende Paradoxa.

Verwende Wortwitz und Wortspiel.

Schreibe von Unmöglichen in einer normalen Weise.

Verwende erhabene und erhebende Bilder (meide Krieg, Verbrechen und offenbaren Sex).

Erzähle, wie es in der wirklichen Welt um uns ist.

Verwende nur Naturbilder (vermeide Menschen).

Vermenge Mensch und Natur in einem Haiku, indem du ein menschliches Gefühl mit einem Aspekt der Natur verbindest.

Bezeichne Menschen als Nicht-Natur und gib all diesen Nicht-Natur-Haiku einen anderen Namen.

Vermeide jeden Bezug zu dir selbst im Haiku.

Sprich indirekt von dir als den Dichter, diesen alten Mann oder mit einem Personalpronomen.

Verwende für Mehrdeutigkeit keine Interpunktion.

Verwende die gewöhnliche Satzinterpunktion

Schreibe das erste Wort in jeder Zeile groß.

Schreibe nur das erste Wort groß.

Schreibe Eigennamen groß.

Schreibe alle Wörter in Kleinbuchstaben.

Schreibe alle Wörter in Großbuchstaben.

Vermeide Reime.

Reime die letzten Wörter der ersten und der dritten Zeile.

Verwende Reime an anderen Stellen des Haiku.

Verwende Alliterationen.

Verwende den Klang der Wörter, um Gefühle wiederhallen zu lassen.

Beende ein Haiku immer mit einem Substantiv.

Schreibe Haiku nur aus einem Haiku-Moment heraus.

Verwende jegliche Inspiration als Ausgangspunkt, um ein Haiku zu entwickeln (Schreibtisch-Haiku).

Verwende Verben nur begrenzt oder gar nicht.

Vermeide Präpositionen, vor allem in der ersten Zeile.

Entferne alle Adverbien.

Verwende für Substantive nicht mehr als ein Attribut und auch das nur dann, wenn es für den Sinn des Haiku unbedingt notwendig ist.

Teile deine Haiku, indem du sie ans Ende deiner Briefe setzt.

Behandle deine Haiku wie Dichtung, sie sind keine Postkartenverse.

Schreibe jedes Haiku auf, das zu dir kommt, auch die schlechten. Vielleicht macht es das nächste Haiku besser.

Lern die Regeln und dann vergiss sie (Matsuo Bashō)

Mehr oder weniger frei übersetzt nach »Haiku rules that have come and gone« von Jane Reichhold.

Jesper Lundby: Nimmt den Bus

nimmtdenbus

wachteauf

spielt
xbox

seinheadset:stimmen
echtergöteborgslang

es läuftschlecht
körperfliegen zerplatzen an
derwandschon gezeichnetvon
messern,scheren

bengalos,fanmarsch,tifosi
tabellensindseinesache
ersisteinnager

jobbtebeiWillys
baldeinjahrher,
stunden.

Dreimonate
alleininderstadt,
einbesuch
einfreund
kamvorbei,

diekarte istgesperrt

die Handelsbank
sagt: du bekommst
keineneue
er

hat in
einemhalbenjahr
drei von diesen kleinen
Plasteteilen verloren

kommtausmit
dreizigarettenamtag

dasinkassobüro jagt ihn

er macht die briefe
nicht mehr auf

kontrolliertdenkühlschrank,dengefrierschrank
das essen reicht
bis zum 20.3.
heute ist
der achtzehnte er

Nimmtdenbusvon
einerstadtzuranderen

mit seinemletztengeld
zueinerparty.

Wirerinnernunsan
eingerenne
einenauflauf

geteiltefreunde
dreifacheslächeln

lasstuns
trinken

aufeinen
überlebenden

Übersetzt nach Jesper Lundby: Tar Bussen (Brand 2/2013). Die Fans des Stockhomer Fußballvereins AIK werden als »Gnagare« (Nagetiere) bezeichnet. »Willys« ist eine schwedische Discounterkette.