Kategorie: Schreibtisch

Kjell Hjern: Gespräch

Als Kind wohnte ich in einer Straße, an der morgens und mittags die Oberschüler vorbeigingen und häufig unterbrach ich mein Spiel, um ihnen mit den Augen zu folgen. Meine Spielkameraden verfügten selbstverständlich über keinen großen Wortschatz und auch zu Hause sprachen sie einsilbig. Mich faszinierte an den Schülern, wie sie sich offenbar eine ganze Straße lang unterhalten konnten, ohne dass das Gespräch zum Stillstand kam. Nun wurde ich ja allmählich selbst einer von ihnen und sowohl in der Schule als auch im weiteren Leben mit manchen Menschen bekannt, die eine oder auch zwei Stunden zusammenhängend reden konnten, ohne dass es ihnen etwas ausmachen würde. Ich habe nicht direkt eine größere Schwäche für diejenigen, die sich sehr weitschweifig ausbreiten, aber wenn ich ein Gespräch unter sechs Augen erlebe – ich bin ungern mit jemandem ganz allein – in dem ohne jede Anstrengung alle Lebenswege des Sprechers zusammengeführt werden, sagen wir, um ordentlich zu übertreiben, für die Länge einer Straße, erlebe ich eine Freude, die die große Verzweiflung aufwiegt, sowohl über die allzu große Isolation als auch über die allzu intime Abhängigkeit von gleichgültigen Menschen. Beinahe möchte ich behaupten, dass ich mich mit Lust und Liebe an dem Gespräch beteilige und mit meinen wenigen Möglichkeiten dazu beitrage, dass es anregend wird, obschon ein Teil von mir außerhalb bleibt, mein Alter Ego, fasziniert und verwundert zugleich, dass das Gespräch überhaupt zustande gekommen ist und solange fortdauert, ohne sich aufzulösen.

Übersetzt nach Kjell Hjern: Samtal (Ord och Bild 1/1948)

Charles Bukowski: Splash

du denkst, du liest einfach
das Gedicht hier.
doch in Wirklichkeit ist das
mehr als ein
Gedicht.
das ist das Messer des Bettlers.
das ist eine Tüte.
das ist ein Soldat, der durch
Madrid marschiert.
das bist du, auf dem
Totenbett.
das ist Li Bai, unter
der Erde, lachend.
das ist kein gottverdammtes
Gedicht.
das ist ein schlafendes Pferd.
ein Schmetterling
in deiner Birne.
das ist der Zirkus
des Gegners.
du liest das hier nicht
auf einem Blatt.
das Blatt liest
dich.
merkst du das?
wie eine Kobra. wie ein hungriger Adler, der um das Zimmer kreist.

das ist kein Gedicht. Gedichte sind stumpf,
sie schläfern dich ein.

diese Wörter aber
machen dich
verrückt.

du bist gesegnet, jemand hat dich
ins blendende
Licht gestoßen.

der Elefant träumt
jetzt
mit dir.
der Raum
krümmt sich und
lacht.

jetzt kannst du sterben.
jetzt kannst du sterben, wie
der Mensch zum Sterben bestimmt
ist:
groß,
siegreich,
die Musik im Kopf,
eins mit der Musik,
heulend,
brüllend,
tosend.

– Die Übertragung wurde von Libralop inspiriert

Thomas Tidholm: Wir waren die Letzten

In der Zeitung stand was
über uns. Wir waren die Letzten
die dort Pilze gesammelt hatten
oder das Wasser getrunken, oder was das nun war. Wir waren
die Allerletzten, die dort ein Eichhörnchen gesehen hatten
Aber das war nur ein Zufall
Sollte nur was holen
Das Haus hatten wir geerbt. Es war
grün. Es brannte später ab
Wir waren selten da. Nordlage, keine Sonne
Aber es kam einer von der Zeitung und fragte
danach, welches Jahr, und wo genau
Es fiel uns nicht mehr ein. Die Eichhörnchen
sind jetzt wohl ausgestorben. Auf dem Foto
sieht man uns an eine Holzwand lehnen
aber das war an einem anderen Haus
Wir sehen gut aus, gesunde Gesichtsfarbe
Jetzt sind wir weg und das Grundstück ist
an eine Firma verkauft. Den Ausschnitt habe ich noch
Meine Schwester ist übrigens tot. Wir haben nie verstanden
wer ihnen den Tipp gab

Übersetzt nach Thomas Tidholm: Vi var de sista (Provins 3/2017)