Kategorie: Schreibtisch

Kjell Hjern: Bücher

Die wichtigen Bücher

Es gibt Bücher, mit denen man über eine längere Zeit intim verkehrt, ohne deshalb in der Lage zu sein, sie genauer zu beschreiben. Ja, das Verhältnis zu ihnen ist so vielfältig, dass man, soll man die Ursachen für seine Wertschätzung schildern, deutlich nichtssagender bleiben kann, als wenn man eine Beurteilung über ein weniger wichtiges Buch abzugeben hat. Entsprechend verhielte es sich, würde mich jemand fragen, was für ein Mensch meine Ehefrau eigentlich sei. In diesem Fall fiele mir eine klare und erschöpfende Antwort deutlich schwerer, als wäre es das Fräulein Pettersson (mit dem ich eine nicht ganz so intime Beziehung pflege), zu dem man meine Ansicht wissen wollte.

Die ungelesenen Bücher

Für einen so wenig ausdauernden Leser, der ich meistenteils bin, beinhaltet die Begegnung mit Büchern keine ununterbrochene Reihe von Eroberungen. In vielen Fällen endete der Eroberungszug in der Welt des Geistes, den das Lesen guter Bücher darstellen kann, mit einem Schlag, der weit von Erkenntnis entfernt war.

Ich habe einsehen müssen, dass das gute Buch, für dessen Lektüre ich bereitgestanden und von dem ich nur einen Vorgeschmack bekommen hatte, im falschen Augenblick eingetroffen war, und durch diese Erkenntnis habe ich paradoxerweise in eine Beziehung zu diesem Buch entwickelt, die persönlicher ist als die, die ich zu den meisten guten Büchern habe, deren Inhalt ich, wie ich sagen kann, verinnerlicht habe.

Die ungelesenen Bücher haben, wenn schon nicht meine Selbsterkenntnis vermehrt, doch wenigstens bewirkt, dass ich mir dessen wieder bewusst geworden bin.

Übersetzt nach Kjell Hjern: Ögonblick med jorden (Stockholm 1954)

Anmerkung

Die Wendung

en knäpp, som långtifrån varit lidnersk

bezieht sich auf den schwedischen Ausdruck Lidnersk knäpp (Lidners Knall), der auf eine Anekdote über den schwedischen Dichter Bengt Lidner aus dem 18. Jahrhundert zurückgeht. Die Geschichte erzählt, dass dieser mit elf Jahren einen kurzen Knall im Kopf spürte, nach dem er sich plötzlich von einem durchschnittlichen zu einem äußerst begabten Schüler entwickelte. Der Ausdruck wird seitdem im übertragenen Sinne verwendet. Mich erinnert er an die schwarze Pädagogik (Kleine Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen). Ich habe versucht, den Sinn der Wendung in der Übersetzung ein wenig zu erhalten.

Ingela Strandberg: Drei Gedichte

Hör darauf
wie sich alles vermischt
Es knackt aus jeder Himmelsrichtung
Der Riss im Fundament
wird größer
Man hört ihn schon lange
doch nicht alles was kaputt geht
lässt sich reparieren

–––

Mein neuer teurer Mantel
ist mit weißer Seide gefüttert
und kämpft mit dem Wind auf meinem Weg
Ich bin ausgekleidet wie ein Sarg
Im Traum spricht die Katze mit mir
durch das Leuchtfeuer
Sie sagt es gibt ein Licht
nördlich der Dunkelheit

–––

Nie war ich glücklicher
als ich im Wasser vor Subbe fyr
den hellen Weg des Heringsschwarms querte
Das brausende Meer
führte mich
Unter mir der Tod über mir die Sterne

Übersetzt nach Ingela Strandberg: Nio dikter (Balder 1/2024). Subbe fyr ist ein Leuchtturm an der schwedischen Westküste.

Kjell Hjern: Bulletin

Sicherlich, er hatte mich schon einmal erschreckt, aber weil mir meine Ehefrau eingeschärft hatte, dass ich oftmals allzu abweisend zu den Menschen wäre, die ich ohne Weiteres als meine Freunde akzeptieren würde, setzte ich mich neben ihn auf die Bank, auf der er saß und auf die Straßenbahn wartete. Vielleicht waren meine Nerven nicht ganz in Ordnung, damals, als ich ihn so irritierend fand. Jetzt schien er mir eine ungefährliche Figur zu sein, so wie er dort saß, eine Baskenmütze im Genick, und in die Sonne blinzelte.

Nachdem wir einige Worte über das wechselhafte Sommerwetter ausgetauscht und darüber nachgesonnen hatten, dass der Flieder verblüht war, musterte er mich indessen und sagte herausfordernd: Du hast wohl abgenommen?

Da meine Leibesfülle zu den Dingen gehört, die ich gern revidieren würde, hätten mich seine Worte vielleicht erfreut, wenn sie von jemand anderem gekommen wären. So beunruhigten sie mich und ich versuchte, zu einem neuen und neutraleren Gesprächsthema überzuleiten.

Aber seine Konversation, die in einem munteren und ungezwungenen Ton gehalten war und durchscheinen ließ, dass er eines starken Mitgefühls mächtig war, folgte mit Eifer ihren eigenen Pfaden. Ich hatte mich in ihm nicht getäuscht. Er verlautbarte ein Bulletin über den Gesundheitszustand des schwedischen literarischen Olymp. Zunächst in groben Zügen, danach immer detaillierter.

So wie es Bücherfreunde gibt, die ihre Vorlieben haben und beispielsweise Kochbücher oder Bücher über Navigation sammeln, hatte dieser Kenner des schwedischen Schriftstellerkorps sein eigenes Gebiet. Er hielt sich über die Leiden unterrichtet, welche die Dichter in Thule heimsuchten und wie auch immer er seine Mitteilungen erhielt, er schien eingeweiht zu sein.

Er wusste, wer gerade in Beckomberga und Lillhagen aufgenommen war, aber verschmähte auch einen Gelenkrheumatismus oder ein blutendes Magengeschwür nicht.

Als die Straßenbahn kam, sah ich zu, dass uns das Gedränge auf dem Bahnsteig voneinander trennte, weil sich alles in mir gegen die Flut aus Blut und Eiter und Alkohol wehrte, die er mit seinen Worten heraufbeschwor.

Das liebenswerte weltmännische Lächeln, um das ich mich zum Tribut an die Klugheit meiner Ehefrau bemüht hatte, welkte dahin und nachdem ich aus dem Wagen ausgestiegen war, untersuchte ich mich im erstbesten Spiegel und fragte mich etwas ängstlich, ob es einen Anlass zu der Annahme gab, dass ich in der näheren Zukunft zu einer Nummer in seinem Katalog werden würde. Wenn man nur genug nachspürt, gibt es immer einige Stellen, die vom Verschleiß der Jahre schmerzen.

Mein Unwillen, Aufmerksamkeit zu wecken, hinderte den Impuls, die Zunge herauszustrecken und nachzusehen, ob sie belegt war, aber auf dem Weg durch die Stadt fiel mein Blick häufiger als gewöhnlich in die Schaufenster, die mein Spiegelbild zurückwarfen, manchmal dünner, manchmal runder als es vielleicht richtig normal ist.

Übersetzt nach Kjell Hjern: Neros ansikte (Stockholm 1960). Beckomberga und Lillhagen waren psychiatrische Kliniken in Stockholm und Göteborg.