Autor: admin

Ein Gespräch in Söderhamn

Auf der Rückfahrt von unserem Sommerurlaub – ein paar hundert Kilometer schon hinter uns, ein paar hundert Kilometer noch vor uns – machen wir Pause im E-Center bei Söderhamn, einem Einkaufszentrum an der E4. Wir setzen uns an einen Holztisch vor dem Eingang und schaufeln unsere Boxen aus der Coop-Salatbar leer. Eine ältere Frau fragt, ob noch etwas frei sei und setzt sich zu uns. Sie schreibt ein paar Ansichtskarten, dann fragt sie uns, ob wir schon in der Stadt gewesen seien. Wir schütteln die Köpfe und sie fängt an zu erzählen, von der Perle Hälsinglands, dem Hafen, den Schären, der Altstadt, den Wanderwegen. Wir müssten unbedingt bleiben, wenigstens eine Stunde. Ich frage sie, warum auf dem Supermarktparkplatz hinter uns ein großes Flugzeugmodell steht und die Frau erzählt uns die ganze Stadtgeschichte: der große Brand 1676, der russische Überfall 1721, das Sägewerk stillgelegt, die Papierfabriken stillgelegt, Ericsson stillgelegt, der große Militärflugplatz stillgelegt. Deswegen das Denkmal. Das sei der Nachteil an der E4, alle würden nur noch an Söderhamn vorbeifahren. Aber die Stadt sei schön und das Wetter sei gut für Touristen – bei diesem schlechten Sommer kämen alle in die Stadt.

Die Frau steht auf und bittet uns, auf ihre Tasche aufzupassen. Sie geht zum Briefkasten am Eingang des Einkaufszentrums und wirft ihre Ansichtskarten hinein. Dann geht sie in das große Foyer und kommt mit ein paar Broschüren über Söderhamn zurück. Die Frau entschuldigt sich fast ein bisschen, sie sei in den sechziger Jahren aus dem Dorf hinunter nach Söderhamn gezogen und habe hier als Lehrerin gearbeitet und jetzt zeige sie eben den Gästen ihre Stadt. Sie habe ihr Deutsch fast vergessen, aber ein Wort habe sie behalten – anstupsen. So sei sie, sie wolle die Leute … anstupsen.

Wir müssen auf jeden Fall nochmal nach Söderhamn fahren.

Brot

Eine der Legenden, die ich als Kind aufgeschnappt hatte, lautete, dass es in Barth einmal 13 Bäckereien gegeben hatte. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen: 13 Bäckereien in dieser kleinen Stadt und Barth-Süd war damals noch nicht einmal gebaut. 1989 gab es davon nur noch Bäcker Simon und einen Bäcker mit einem schwer auszusprechenden Namen, der deshalb Polenbäcker hieß. Und es gab die Konsumbäckerei, in der ich im Herbst zwei Monate lang arbeitete. Wir fuhren Brot aus, in einem LKW W50 mit Kastenaufbau, der voller Brotkisten war.

Unsere Routen gingen über Land: Kenz-Flemendorf-Karnin, Bodstedt-Fuhlendorf-Bartelshagen-Saal-Tempel, Pruchten-Bresewitz-Zingst-Prerow. In jedem noch so winzigen Dorf gab es einen Konsum und die Leute warteten immer schon auf die Lieferung. In Kenz brachten sich die alten Frauen Stühle in den Laden mit und saßen und erzählten, als wir ankamen. Dort warfen wir die Brote direkt vom LKW durch das Fenster in den Lagerraum, ein Fuß auf der Ladefläche, ein Fuß auf dem Sims, immer zwei Brote zusammen, die Böden gegeneinandergelegt. Alles in Unmengen, Brot war subventioniert und kostete eine Mark, niemand sollte hungern. Die Leute auf dem Dorf verfütterten die Brote an die Schweine.

Ich weiß nicht mehr, wie das Brot aus der Konsumbäckerei Barth schmeckte. Es gab ein Kinderlied mit der schönen Zeile Wieder einer tot vom Konsumbrot, aber schlimmer als von diesen Backshops, die es jetzt überall gibt, kann es eigentlich auch nicht gewesen sein.

Büro

Mein Büro ist umgezogen, die Außenstelle aufgelöst. Es gibt keinen besseren Platz zum Arbeiten als die Außenstelle einer mittleren Behörde, möglichst weit weg von der Hauptstelle, der Zentrale, den Chefs, mit einem sanft aufsässigen Eigenleben der in die Nebenstelle abgeschobenen Mitarbeiter, die einzige Verbindung das interne Telefonnetz und der Wachtmeister, der mittags die Post bringt und abholt.

Mein Zimmer ging nach Süden zum Dom. Ich sah den ganzen Tag hinaus: auf die Bauarbeiter, die das Kirchendach reparierten, die Autos, deren Besitzer im Dombüro irgendwie einen Schlüssel für den Parkplatz besorgt hatten, die Hunde, die auf den alten Kirchhof kackten, die Männer, die in der Nische am Pfeiler gegen die Wand des Doms urinierten und das Kirchenschiff, das im Dezember ganz leicht bebte und klang, während sie drinnen das Weihnachtsoratorium probten. Das werde ich vermissen.