Autor: admin

Böhmermann

Noch kurz zu Böhmermann: Mein erster Eindruck war, dass die Nummer fast nichts mit Erdoğan, aber sehr viel mit Welke und Ehring zu tun hatte. Böhmermann hat diesen sehr deutschen Haudrauf-Humor von heuteshow und extra 3 einfach eine Schraube weitergedreht: Haha, der Erdoğan mit seiner lustigen Stimme und seinem watschelnden Gang, ein einfaches Opfer hiesiger Fernseh-Comedy und in der Tat könnte man sich in den genannten Sendungen ohne Weiteres ein Bildchen in der Bildschirmecke vorstellen, auf dem der Kopf des türkischen Präsidenten auf eine Ziege montiert ist (falls es das noch nicht gegeben hat). Deswegen neben der Metaebene (»Wir tragen jetzt strafbare Schmähkritik vor«) auch die Form einer Büttenrede als maximale Distanzierung vom Text – es lässt sich kaum jemand denken, der weniger Karnevalist wäre als Böhmermann. Böhmermann hat kein rassistisches Schmähgedicht vorgetragen. Er hat jemanden gespielt, der ein rassistisches Schmähgedicht vorträgt. Das ist Kunst und damit sollte die Diskussion auch zu Ende sein.

Um so überraschender, dass sich aus diesem Video-Schnipsel eine Angelegenheit entwickelt hat, die inzwischen von Intendanten, der Bundespressekonferenz und der Bundesregierung verhandelt wird. Eine Renaissance von § 103 Strafgesetzbuch (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) steht in Haus, einer Vorschrift, die zuletzt 1981 in Anwendung gebracht wurde, als das Bundesverwaltungsgericht es für strafbar hielt, die chilenische Regierung von General Augusto Pinochet eine »Mörderbande« zu nennen (BVerwGE 64, 55). Wer hier nach dem Staatsanwalt ruft, will einen miefigen Humor im Fernsehen, der hinter Otto Waalkes und Harald Schmidt zurückfällt. Geschmacksfragen auszutragen ist keine Aufgabe der Justiz.

Prag

Nach all den Jahren noch unverändert stille Wut bei den Bildern von Genscher auf dem Prager Balkon. Die Kameras sind aufgebaut. In dunkler Nacht erscheint der Verkünder der frohen Botschaft. Er steht im improvisierten Licht von ein paar Lampen und spricht von der Kanzel herab zu den Leuten ohne Namen. Leuten, die seit Wochen und Tagen auf der nackten Erde im Garten der Botschaft leben, die jetzt ekstatisch schreien, so als ob ein Rockstar die Bühne betreten hätte, die ihm folgen werden in das Land, in dem man auch ohne einen Sprachkurs einen Pass bekommt. Es kann gute Gründe geben, um zu gehen, aber es ist keine Heldentat, kein Platz für Pathos. Immer bleibt jemand zurück.

Etwas zu Schallplatten

Glücklicherweise habe ich diese Probleme nicht. Ich höre viel Musik, aber ich bin kein Sammler. Es muss nicht vollständig sein. Irgendwann habe ich aufgehört, mir die neuen Sachen von The Cure zu kaufen, David Bowie ist extrem lückenhaft, Leonard Cohen auch, es kann gut sein, dass ich die frühen Kent-Platten nicht habe und mit Bob Dylan habe ich sicherheitshalber gar nicht erst angefangen. Ganz zu schweigen von Jazz. Ich habe ein paar Dinge, aber die Diskographie von John Coltrane und Miles Davis ist ohnehin nicht mehr zu schaffen. Das kann man in einem Leben noch nicht mal alles anhören.

Ich kaufe noch immer CDs. Kein iPod, kein Streaming, keine Platten, keine Kassetten. Schallplatten waren DDR, als der Westen kam, ging es gleich mit den CDs los. Die guten Platten hat sich mein großer Bruder mitgenommen und der Rest steht in einer Kiste auf dem Dachboden.

Eigentlich könnte das alles so bleiben, wie es ist, aber inzwischen habe ich ein bisschen Sorge, dass diese Technik eines Tages einfach abgeschaltet wird, so wie sie es jetzt mit der Mittelwelle machen. Dass der CD-Player mit diesem Laserstrahl mal kaputtgeht und es im Laden keinen neuen mehr zu kaufen gibt oder dass die Musik verschwindet, die sie irgendwie auf diese Scheiben raufgedampft haben.

Aber Schallplatten (oder Vinyl, wie man jetzt sagt) sind nerdiges Zeug. Man braucht eine Anlage, einen Plattenspieler, einen Verstärker, Boxen, diese antistatischen Tücher, man muss sich um den Saphir kümmern, den Riemen, alles eine Wissenschaft. Die Platte vorsichtig aus der Hülle holen, auf diesen Stöpsel in der Mitte legen, den Motor in Gang setzen, die Nadel langsam auf die Platte absenken, den Deckel schließen und nach 20 Minuten die Platte umdrehen, wenn bis dahin alles gutgegangen ist. Platten verkratzen, sind groß und schwer zu transportieren. Das Cover knickt an den Ecken leicht ein. Jeder, der mal diese Supertramp-LP von Supraphon in einem Rucksack von Prag nach Hause bringen musste, weiß das.

Andererseits, Coolness:

Die Eingangsszene der zweiten Staffel von »Lost«, in der das erste Mal Desmond Hume und die alte Schwan-Station der Dharma-Initiative auftauchen.

Der letzte Teil der ersten Staffel von »Bosch«, als Hieronymus Bosch seiner Tochter Madeline »Patricia« von Art Pepper auflegt:

– How’d you like the tune?
– It was good. I don’t really know anything about jazz, but I liked it.
– I’ll get you some CDs.
– I don’t have a CD player. I download all my music.
– Right. I’ll get you some discs and a CD player. Better yet, I’ll get you some vinyl and a turntable. Best way to listen.

Ed Smith zieht eine schöne Parallele von Vinyl vs. Streaming zu Test Cricket vs. Twenty20. Aber Test Cricket ist wirklich ein anderes Spiel als das süße Gift Twenty20 (nicht nur ein Sport, sondern ein Weg, den ganzen Tag zu verbringen, wie Smith richtig schreibt, und eigentlich nicht nur einen Tag, sondern eine Woche). Wird aus der Musik auf der B-Seite einer Single etwas anderes, wenn sie bei Spotify gestreamt wird?

Hier wäre jedenfalls ein Plattenladen.