Monat: Februar 2020

#152

Nach Sassnitz

Der Fährhafen liegt im Winterschlaf. Erst hat Sassnitz den Hafen an Mukran verloren und jetzt fährt von Mukran auch nichts mehr.

Wir sitzen auf der Bank vor dem Bahnhofsgebäude und gucken hoch zur Stubnitz. Sassnitz liegt im Gebirge.

Der Zug fährt ein. Der neue Streckenbetreiber hat sich von der Österreichischen Bundesbahnen ein paar Wagons ausgeborgt, wie passend. Jemand hat an meinem Platz eine Zeitung liegengelassen, ein Hamburger Abendblatt. Vor ein paar Jahren waren die Züge noch voller Fundstücke, vor allem die Fernzüge, aber jetzt liest niemand mehr Zeitungen und ihre Smartphones lassen die Leute nicht liegen, zum Glück.

#151

Der Schulhof in Barth war asphaltiert. An der Stirnseite waren mit weißer Farbe Markierungen aufgebracht, für jede Klasse. Wenn es zum Reingehen klingelte, mussten wir uns dort klassenweise in einer Doppelreihe aufstellen, und wenn alle endlich stillstanden, nickte uns der Lehrer zu, der die Hofaufsicht machte, und wir durfte zurück in das Schulgebäude gehen. Es gab nur eine schmale Tür an der Seite der Schule, gegenüber vom Toilettenhäuschen. Der Haupteingang war verschlossen, und wahrscheinlich war das schon die Begründung für das ganze Verfahren: Wenn alle gleichzeitig versuchen würden, durch die einzige Tür zu kommen, würde es nicht funktionieren. Es musste geordnet ablaufen.

Als ich nach Greifswald kam, wunderte ich mich deshalb sehr, dass es auch anders ging. Kein Anstellen, keine Kommandos, wenn es klingelte, gingen alle einfach rein und wer cool war, wartete damit bis zum letztmöglichen Moment. Das war Freiheit.

Snodgrass

Me, I’m Snodgrass, Kevin, Tracy, fat Doris in her print dress. I’m every bit part player in the whole bloody horrorshow. Everyone except John Lennon.

Wahrscheinlich gibt es keine bessere Methode, um einen Text genau zu lesen, als ihn zu übersetzen. Dabei sind mir in den letzten Wochen die Figuren aus dieser Erzählung ans Herz gewachsen – der grummelnde Doktor Winston, all die Snodgrasses und Tracys, Cal natürlich und die gute Mimi, selbst die dicke Doris und sogar Kevin, ein bisschen. Alle sind auf der Suche nach dem Glück, und jeder auf seine Weise.

Es klingt verrückt, schließlich war ich erst neun Jahre alt, als John Lennon starb, aber ich vermisse ihn noch immer. Im Radio in der Küche spielten sie seine Musik und als am nächsten Tag ein Foto von ihm in der Zeitung war, schnitt ich es aus. Es passte genau in eine Kassettenhülle. Deshalb bin ich vor allem ein dankbarer Leser dieser Geschichte. Wir müssen zwar auf Strawberry Fields Forever, A Day in The Life, Imagine und Woman verzichten, aber John Lennon ist noch am Leben. Besser als andersherum, keine Frage. Die fünf Singles der Nowhere Men, von denen ich bisher nichts wusste, werden sich schon in irgendeinem kleinen Plattenladen auftreiben lassen.

Übersetzen ist natürlich stark übertrieben. Ich habe längst nicht immer verstanden, was der liebe Doktor vor sich hin murmelt. Manches war sehr assoziativ, immerhin war Lennon mal ein Kunststudent. Und manches war so sehr Working Class Hero, dass ich mich verschämt wegdrehen musste. Also seid bitte nicht sauer. Es ist nur eine Geschichte.

Erster Nachtrag

Wer das kleine Büchlein geschenkt haben möchte, schreibt mir bitte. Ich würde mich freuen.

Zweiter Nachtrag

Es gibt auch eine Playlist zur Erzählung, unter anderem mit einem Kurzfilm.