Monat: Juni 2014

Lina Stoltz: Ein Gedicht

Earl Grey in dunkelblauen Teetassen
an deinem Küchentisch
Ein neues Glas Honig
Du rauchst vor dem Ventilator
Nimmst die Zigarettenschachtel aus dem Gefrierschrank
Einem leeren Gefrierschrank
bis auf die Zigaretten
Er müsste mal abgetaut werden, glaube ich

Amphetamin
bringt gespritzt
die besten Ergebnisse

Neun Tage trocken
Die Wohnung geputzt
Ich kann dich
nicht anders nennen
als schön
Der Blumenstrauß geht ins Blaue
und ich kaufe eine Vase
Du hast bestimmt
keine Vase, glaube ich

Hundert Glocken für den Bus nach Hause
als du aufhören willst
wieder
Schlaftabletten
einzuwerfen
um die Sucht
unter Kontrolle zu halten

Auch diesmal bewegst du dich nicht
als ich dich umarme
Hältst nur die Zigarette weg
damit du mich
nicht verbrennst

Nach manchen Sachen frage ich nicht
Solchen die ich
nicht wissen will

Übersetzt nach Lina Stoltz: Dikter (Provins 1/2007)

Waffenbrüder

Als wir auf der Pritsche vom W50 saßen, das Gewehr zwischen den Beinen, den Kolben auf dem Boden, auf der Fahrt zum Schießplatz, mit klammen Fingern in dieser Scheißkälte, als das Gerede begann, was das alles noch sollte, draußen fuhren sie in den Westen, der Klassenfeind stand auf unseren Marktplätzen und machte Wahlkampf und wir putzten jeden Tag auf einem Hocker im Flur die Kalaschnikows, Waffe entladen, entspannt und gesichert, bis die Offiziere kein Staubkorn mehr im Lauf fanden und jeder Fettfleck auf dem Metall verrieben war, als einer sagte, er werde in die Luft schießen bei der Übung und noch einer und noch einer und dann schossen wir über die Zielscheiben hinweg, da war es auf einmal zu Ende, Entladen! Munition abgeben! Aufsitzen! und die Tür zur Waffenkammer in unserer Baracke wurde nie wieder aufgeschlossen. Was in der 8. Klasse mit einem KK-Gewehr im Erlengrund begonnen hatte oder vielleicht schon früher, Der Friede muss bewaffnet sein, war auf einmal zu Ende, der Wehrunterricht, die GST-Nachmittage, die Wehrlager, die Tage der Wehrbereitschaft, die Uniformen und die genagelten Stiefel auf dem Schulboden, die Fragen nach den drei Jahren Dienst für den Frieden, nach den Grenztruppen, die Musterung, die Geschichten von denen, die erschossen worden waren, weil jemand die Zielkoordinaten vertauscht hatte, weil jemand abhauen wollte, weil jemand durchgedreht war, die Schießübung bei der Grundausbildung, neben mir lag der Alkoholiker, den seine Frau verlassen hatte und der hoffentlich die Nerven behalten würde, ich wurde bester Schütze im Zug und bekam einen Tag Sonderurlaub. Jeder Angehörige der Nationalen Volksarmee muß seine Waffe so behandeln und pflegen, daß sie jederzeit einsatzbereit ist, aber das war auf einmal vorbei, weil wir die Lust verloren hatten.

Einen Freund wiedersehen und mit ihm ein Gespräch über Musik führen

Skalitzer Straße, Privatclub. Leif Vollebekk ist nach Berlin geflogen, hat sechs, sieben Stücke gespielt und entschuldigt sich gerade ein bisschen für seine Zugabe, einen Ray-Charles-Song. Zugaben wären in Kanada nicht so üblich und überhaupt sei es ein wenig unhöflich, den nächsten Künstler zu lange warten zu lassen.

– Ich meine, ich bin jetzt zweihundert Kilometer gefahren, um Leif Vollebekk zu sehen und dann ist er nur die Vorband.
– Das ist okay. Ich bin mal nach Hamburg zu Thomas Dybdahl gefahren, der war auch nur Vorprogramm.
– Für wen denn?
– Das weiß ich gar nicht mehr.