Monat: Oktober 2016

Im Oktober

Das Einkaufszentrum ist inzwischen fast leer. Vor dem Seiteneingang sitzt eine Katze, als ich reingehe, schlüpft sie vor meinen Füßen durch die Glastür und läuft schnurstracks die Passage entlang. Im Laden sagen sie, die Katze gehöre zum Friseur, die hätten sie mitgebracht. Sie komme jeden Tag herein und sehe nach, obwohl der Friseur doch schon am Mittwoch zugemacht habe.

Auf dem Weg ins Haus, die Koalitionsverhandlungen laufen noch, der Stab im Vorzimmer ist unruhig. Der Fahrer unseres Dienstwagens besetzt die Überholspur der Autobahn, von hinten kann ich die Geschwindigkeit auf dem Head-up-Display der Frontscheibe ablesen. Das neue Sakko liegt neben mir, der schwarze Halbmantel im Kofferraum. Ich prüfe den Sitz der Krawatte im Rückspiegel. Nieselregen, die Scheibenwischer arbeiten zuverlässig. Hochnebel verschluckt die Rotoren des Windparks. Es sind keine Tiere zu sehen.

The Cure fingen mit Shake Dog Shake an und da war gleich klar, dass es gut werden würde.

Im Landesmuseum noch eine Fotoausstellung über das alte Greifswald, gleich am Anfang das Vorher-nachher-Spiel, also erst ein Schwarz-Weiß-Bild aus der Zeit vor dem Flächenabriss der Altstadt und daneben eine aktuelle Farbfotografie aus derselben Perspektive. Das läuft immer darauf hinaus, dass auf dem ersten Bild Menschen auf den Straßen ihrer langsam verfallenden Stadt zu sehen sind und auf dem zweiten parkende Autos. Es entsteht eine Mischung aus Wehmut und schlechter Laune.

In Vorpommern ist alles voller Himmel.

Mich an eine Fernsehkochshow in unserer Urlaubsbude erinnert und ein Gericht gekocht, das Zombie Brain heißt und auch so aussieht.

Die Pferdeweide am Ortsrand von Miltzow, das Reh auf dem Feld vor Reinberg, die Kraniche auf dem umgebrochenen Acker bei Stahlbrode, die wartende Katze am Feldrand hinter Poppelvitz, der Bussard über der Schoritzer Wiek, der Graureiher, der am Ryckufer landete, der Hirsch im Wald nach Steffenshagen.

Von München geträumt, das sich als dystopischer Ort erwies. Es war seltsam warm, auf den Plätzen zwischen all den gotischen Bauten lag zentimeterhoch eine Mischung aus Schnee und Asche, eine kleine Wasserflasche am Kiosk kostete siebzehn Euro. Schlafplätze waren einfach nicht zu bezahlen und der Mann im Kiosk gab mir den Rat, mir für die Nacht rechtzeitig einen Platz in einem U-Bahnhof zu suchen, das würden alle Touristen so machen. Mir fiel dann ein, dass A. jetzt in München wohnt. Sie war da und nahm für eine Übernachtung auf einer Biedermeiercouch mit durchgesessenen Sprungfedern hundert Euro, einen Freundschaftspreis. Vielleicht war es auch Prag, ich weiß es nicht mehr genau.

Auf dem Rückweg kam die Oktobersonne heraus, sie wärmte noch ein bisschen.

Fritz

Wenn ich an Fritz denke, muss ich auch an Fußball denken. An den Sportplatz in Leuben, über den ich so oft gegangen bin. Die Heimat von Fortuna. Die tiefste Stelle des Dorfes, unten am Ketzerbach, an der alten Eisenbahnbrücke, dahinter begann der Park. An die Spiele, die wir zusammen besucht haben: VfB Leipzig gegen Bayern München (mit Franz Beckenbauer auf der Trainerbank) im alten Zentralstadion. Leipzig hatte Darko Pančev von Inter Mailand geholt, der Tore gegen den Abstieg schießen sollte und man stelle sich diesen Namen in einem breiten sächsischen Idiom ausgesprochen vor. So habe ich ihn für immer im Ohr, Fritz war sehr skeptisch und zu Recht. Dann ein trüber Zweitligakick gegen Bochum (mit Dariusz Wosz) im Bruno-Plache-Stadion, danach der Wechsel zu Chemie: Sachsen Leipzig gegen Rot-Weiß-Erfurt im tobenden Alfred-Kunze-Sportpark. Später RB Leipzig in der Regionalliga gegen irgendeine Mannschaft, die ich vergessen habe, im neuen Zentralstadion. Zweimal spielte Greifswald gegen Leipzig Relegation und beide Male konnte ich nicht hingehen. Es gibt ein schönes Foto von Fritz, auf dem er mitten im Leipziger Auswärtsblock im Greifswalder Volksstadion steht. Ich mochte es, dass er seine Liebe zum Fußball auf so viele Mannschaften verteilen konnte.

Als Leipzig im Frühjahr in die Bundesliga aufgestiegen war, rief er mich an. Zur Feier des Tages war er in ein Café gegangen und hatte ein Bier getrunken. Er hatte lange auf diesen Moment gewartet. Ich nahm mir vor, in der neuen Saison mit ihm mal wieder ins Stadion zu gehen.