Monat: April 2016

Böhmermann

Noch kurz zu Böhmermann: Mein erster Eindruck war, dass die Nummer fast nichts mit Erdoğan, aber sehr viel mit Welke und Ehring zu tun hatte. Böhmermann hat diesen sehr deutschen Haudrauf-Humor von heuteshow und extra 3 einfach eine Schraube weitergedreht: Haha, der Erdoğan mit seiner lustigen Stimme und seinem watschelnden Gang, ein einfaches Opfer hiesiger Fernseh-Comedy und in der Tat könnte man sich in den genannten Sendungen ohne Weiteres ein Bildchen in der Bildschirmecke vorstellen, auf dem der Kopf des türkischen Präsidenten auf eine Ziege montiert ist (falls es das noch nicht gegeben hat). Deswegen neben der Metaebene (»Wir tragen jetzt strafbare Schmähkritik vor«) auch die Form einer Büttenrede als maximale Distanzierung vom Text – es lässt sich kaum jemand denken, der weniger Karnevalist wäre als Böhmermann. Böhmermann hat kein rassistisches Schmähgedicht vorgetragen. Er hat jemanden gespielt, der ein rassistisches Schmähgedicht vorträgt. Das ist Kunst und damit sollte die Diskussion auch zu Ende sein.

Um so überraschender, dass sich aus diesem Video-Schnipsel eine Angelegenheit entwickelt hat, die inzwischen von Intendanten, der Bundespressekonferenz und der Bundesregierung verhandelt wird. Eine Renaissance von § 103 Strafgesetzbuch (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) steht in Haus, einer Vorschrift, die zuletzt 1981 in Anwendung gebracht wurde, als das Bundesverwaltungsgericht es für strafbar hielt, die chilenische Regierung von General Augusto Pinochet eine »Mörderbande« zu nennen (BVerwGE 64, 55). Wer hier nach dem Staatsanwalt ruft, will einen miefigen Humor im Fernsehen, der hinter Otto Waalkes und Harald Schmidt zurückfällt. Geschmacksfragen auszutragen ist keine Aufgabe der Justiz.

Prag

Nach all den Jahren noch unverändert stille Wut bei den Bildern von Genscher auf dem Prager Balkon. Die Kameras sind aufgebaut. In dunkler Nacht erscheint der Verkünder der frohen Botschaft. Er steht im improvisierten Licht von ein paar Lampen und spricht von der Kanzel herab zu den Leuten ohne Namen. Leuten, die seit Wochen und Tagen auf der nackten Erde im Garten der Botschaft leben, die jetzt ekstatisch schreien, so als ob ein Rockstar die Bühne betreten hätte, die ihm folgen werden in das Land, in dem man auch ohne einen Sprachkurs einen Pass bekommt. Es kann gute Gründe geben, um zu gehen, aber es ist keine Heldentat, kein Platz für Pathos. Immer bleibt jemand zurück.