Monat: Dezember 2015

Brännö

Willst du eine wirklich schöne Stelle wissen? Einen schönen Platz auf der Erde? Ja? Dann verrate ich dir jetzt etwas.

Der Platz liegt auf einer Insel bei Göteborg. Die Insel heißt Brännö, du musst also mit dem Schiff dahin fahren, was schon mal eine feine Sache ist. Am besten fährst du nach Brännö Husvik im Süden der Insel, steigst aus und läufst dann immer den Weg entlang Richtung Norden. Erst geht es ein bisschen bergauf, dann kommt auf der rechten Seite ein Laden, in dem du Eis kaufen kannst und wenn du neben der Straße eine alte Schiffswerft siehst, bist du schon fast dort. Auf einmal stehen da ganz viele Fahrräder herum und dann bist du in Brännö Rödsten. Hier fährt das Schiff ab, mit dem du wieder nach Göteborg kommst.

Eigentlich sieht der Platz gar nicht so besonders aus. Da sind ein paar wacklige Bänke, auf die man sich setzen und warten kann und eine alte Holzbude, in der es komisch riecht. Nebenan stehen die Container, in die man seinen Müll reinschmeißt. Aber setz dich lieber auf den Poller, an dem die Boote festmachen können oder auf die Kaimauer. Auf der rechten Seite siehst du die Insel Asperö mit ihren kleinen Häuschen und auf der linken Seite Rivö, wo nur ein paar Schafe wohnen. Und zwischen diesen Inseln wird langsam das Schiff größer, mit dem du gleich losfahren wirst. Du kannst es nicht verpassen, es legt erst noch in Asperö an und wenn es ganz ruhig ist, hörst du von dort die Ansage der Schiffsleute über das Wasser hinweg: Asperö Norra. Da hast du schon die halbe schwedische Aussprache gelernt: das scharfe S und das rollende R und wenn du es richtig schwer haben willst, musst du noch nach Sjumansholmen fahren und aufpassen, wie die Leute das aussprechen.

Hast du auch einen Lieblingsplatz?

Über ein Auto

Im August hatte ich ein ernstes Gespräch mit dem Chef der Autowerkstatt. Vor unserer Sommerreise hatten wir noch einmal ein paar Sachen machen lassen, der Chef hatte mich vorher angerufen und das Auto mit einer Art Gabelstapler hochgefahren, so dass wir uns gemeinsam den Unterboden anschauen konnten. Wir standen unter dem Auto und er klopfte an mehreren Stellen mit einem Hammer gegen die Karosserie. Kein metallisches Geräusch mehr erkennbar, der Rost hatte ganze Arbeit geleistet, ein Franzose eben. Im Februar würde der TÜV ablaufen und dann wäre Schluss mit dem Auto.

Ich dachte daran, wie ich im Februar 2002 mit meinem Vater frühmorgens mit dem Zug bis nach Münster und von dort mit dem Bus nach Everswinkel gefahren war, um das Auto zu holen, die Jackentasche voller druckfrischer 500-Euro-Scheine. Drei Jahre alt, kaum gefahren, komische Farbe und eine Delle auf dem Dach, von der im Internet nichts gestanden hatte. Ein Kangoo mit einer Schiebetür hinten und einem Kofferraum, in den alles reinpasste: Fahrräder, Kinderwagen, Baumaterial, Möbel, Zelte, Wahlplakate. Dann fuhr ich los.

Auf der Sommerreise erwischte uns zwischen Umeå und Örnsköldsvik ein LKW mit einem Stein auf der Frontscheibe und am letzten Tag der Rückfahrt riss ich auf dem geschotterten Parkplatz an der Badestelle am Ivösjön den Auspuff ab. Das Auto fuhr noch bis nach Hause und mit letzter Kraft bis auf den Hof der Autowerkstatt und dort ließen wir es stehen.

Neulich habe er schon mal so einen Fall gehabt, sagte der Werkstattchef. Als der Abschleppwagen von der Autoverwertung gekommen sei, sei die ganze Familie dagewesen und habe Selfies vor dem Auto gemacht. Alle hätten geweint. Es klang so, als wolle er so etwas nicht noch einmal haben. Nach ein paar Tagen fuhren wir mit den Fahrrädern auf den Hof und räumten die restlichen Sachen in einen großen Rucksack: Steine, Stöcke, Bücher, Warndreieck, den Verbandskasten. Ab und zu kam ich noch an der Werkstatt vorbei, um nachzusehen und eines Tages war das Auto nicht mehr da.

Inari

»Zugvögel … Einmal nach Inari« ist ein Film über eine Reise, wie sie heute nicht mehr stattfinden könnte. Die Geschichte spielt 1994 und beginnt in Dortmund, wo sich der Bierfahrer Hannes Weber (gespielt von Joachim Król) auf den Weg macht, um im nordfinnischen Örtchen Inari an einem Fahrplan-Wettbewerb teilzunehmen. Passenderweise in Finnland treffen sich Kursbuchnerds, um zu ermitteln, wer die weltweiten Eisenbahnfahrpläne am besten im Kopf hat.

Das Ganze erscheint nicht nur deshalb vollkommen aus der Zeit gefallen, mit dem Abstand von 20 Jahren wirkt der Film wie aus einem Technikmuseum. Es gibt Musikkassetten, Postkarten, riesige Funktelefone und Faxgeräte. Die Gegenwart, in der das Kursbuch durch die Algorithmen eines Computerprogramms ersetzt worden ist, scheint im Film in Gestalt eines Fahrplanexperten des Bahnkonzerns auf, der einen Koffer voller Disketten dabei hat.

Es ist ein langsames Roadmovie auf Schienen, unterbrochen von einigen Fährfahrten. Man bekommt Lust, die Strecke mal nachzureisen, über Hamburg, Stockholm, Turku bis nach Kemijärvi und von dort die letzte Strecke mit dem Bus. Wer Schlagwagenabteile, Speisewagen und Schiffskabinen liebt, ist hier richtig. Im Film wird viel geraucht und um so mehr getrunken, je weiter die Protagonisten nach Finnland hineinkommen. Die Handlung wird durch eine Kriminalgeschichte und eine Liebesgeschichte vorangetrieben. Hannes wird verdächtigt, seinen Chef in der Spedition erschlagen zu haben und von Kommissar Franck (gespielt von Peter Lohmeyer) bis nach Inari verfolgt. Auf der Reise lernt Hannes die Finnin Sirpa Salonen (gespielt von Outi Mäenpää) kennen. Am Ende erliegt auch der Kommissar der Faszination von Bahnfahrplänen und Hannes bekommt die Gelegenheit, eine Liebeserklärung mit einer Eisenbahnverbindung auszudrücken, weshalb des schöne Wort Haparanda einige Male im Film vorkommt. Aber wenn Hannes über Haparanda gefahren wäre, hätte er in der Bahnhofsgaststätte von Seinäjoki kein gutes deutsches Bier bekommen.