Monat: Dezember 2012

Kattegat

Willst du eine wirklich schöne Stelle wissen? Einen schönen Platz auf der Erde? Ja? Dann verrate ich dir jetzt etwas.

Wenn du mal in Göteborg bist, musst du nach Marstrand fahren. Das ist ein kleiner Ort im Nordwesten der Stadt, nicht sehr weit entfernt. Dorthin fahren diese blauen Busse. In Marstrand ist eine kleine Fähre, mit der man auf eine Insel übersetzen kann. Du findest sie ganz leicht – alle fahren mit dieser Fähre.

Mitten auf der Insel ist ein Berg und auf dem Berg steht die Festung Carlsten. Du kannst sie gar nicht verfehlen, die Festung ist sehr groß und von dort aus siehst du auch schon das Meer, das hier Kattegat heißt. Die einen meinen, dass das Kattegat zur Nordsee gehört und die anderen meinen, dass es zur Ostsee gehört und die Schweden meinen, es ist ein eigenes Meer für sich. Kattegat ist das holländische Wort für das Loch in der Tür, durch das die Katze ins Haus schlüpfen kann, aber so eng ist der Seeweg hier eigentlich gar nicht. Da ist Platz für viele Katzen, wenn sie nicht so wasserscheu wären. Am Horizont siehst du die großen Frachtschiffe vorbeifahren und die Seefahrt war sicher auch der Grund, warum die Leute hier vor vielen Jahren eine Festung gebaut und die Kanonen hochgeschleppt haben.

Wenn du keine Lust hast, auf den Berg zu steigen, dann kannst du natürlich auch einfach drum herumlaufen. So oder so kommst du an die Stelle, wo die großen, runden Felsen im Meer liegen, die so aussehen, als hätte ein Riese beim Baden mit ihnen gespielt und sie dann liegengelassen. Die Felsen sind ganz warm von der Sonne. Von dort führen Treppen und Leitern ins Wasser. Das Wasser ist klar und richtig salzig. Such dir einen Tag mit starkem Westwind aus, wenn du dort baden gehen willst, aber halte dich gut an der Leiter fest. Das Wasser ist mächtig und reißt dich sonst fast mit sich.

Hast du auch einen Lieblingsplatz?

Ljungskile

Ich gehöre leider nicht zu denjenigen Leuten, die ihr Leben nach dem Fußballkalender ausrichten. Aber es traf sich schon ganz gut, dass das Auswärtsspiel von Trelleborgs FF, mit dem mich eine unglückliche Liebe verbindet, im Sommer einigermaßen auf dem Weg lag. Trelleborg war gerade abgestiegen und die Leute, die ihr Leben nach dem Fußballkalender ausrichten, trösten sich dann mit dem Gedanken, dass sie jetzt wenigstens ein paar neue Stadien kennenlernen können. So kamen wir nach Ljungskile, einem kleinen Ort mit gut dreitausend Einwohnern an der Westküste, der wahrscheinlich nur durch seinen Zweitligaverein berühmt geworden ist.

Das Stadion von Ljungskile liegt außerhalb der Stadt hinter ein paar Weiden und Pferdeställen auf einer Waldlichtung. An den Längsseiten gibt es zwei Tribünen, die eine ist überdacht, der Rest ist offen. Am Eingang zum Stadion steht ein Kassenhäuschen aus Holz und für die Verpflegung gibt es einen Kiosk. Mehr braucht man auch nicht. Der Mann am Einlass schwärmt vom deutschen Fußball. Er war mal im Hamburger Volkspark, gegen Bayern München, siebzigtausend Zuschauer. Gegen Trelleborg werden es 735. Wir dürfen auf die Haupttribüne – heute werde es sowieso nicht so voll.

Im Stadion ist gute Stimmung, die Sonne scheint, alles ist sehr entspannt. Die Ballmädchen und Balljungen werden einzeln mit Namen vorgestellt und beklatscht. Während der Partie sagt der Stadionsprecher ständig die aktuellen Wettquoten durch, die Schweden lieben Sportwetten. Man kann auf den Ausgang des Spiels wetten, auf das genaue Ergebnis und auf die Anzahl der Tore. Es gibt auch irgendwelche Lose zu kaufen, deren System ich aber nicht verstanden habe.

Das Spiel ist schnell erzählt. Ljungskile bekommt gleich am Anfang einen Elfmeter, ich bin der einzige im Stadion, der protestiert, also kann man den wahrscheinlich geben. Trelleborg läuft den Rest der Partie diesem Rückstand hinterher, ohne Erfolg. Die meisten Zuschauer gehen zufrieden nach Hause. Am Ende der Saison wird Trelleborg ein zweites Mal abgestiegen sein. Im nächsten Jahr gibt es wieder neue Auswärtsfahrten. Fußball ist nie zu Ende.

Hannover

Vor der Rückfahrt aus Hannover steht plötzlich Egon Bahr neben mir auf dem Bahnsteig. Jemand, der auch öfter in der Zeitung ist, rollt seine Koffer. Sie stehen mit einer blauen Nil in den Händen neben dem Raucherbereich, gerade noch nah genug dran, um die Regeln zu akzeptieren, gerade schon weit genug weg, um sie zu übertreten. Ein kleiner gebückter alter Mann und sein Assistent. Sie reden über die Rede des Kandidaten und ich höre ihnen zu.

Der halbe SPD-Parteitag ist auf dem Bahnsteig. Sie haben gerade etwas entschieden, was die anderen schon für sie entschieden hatten und wollen jetzt weg aus diesem steingewordenen sozialdemokratischen Traum aus den siebziger Jahren und zurück in ihre Wohnungen und Büros in der neuen Mitte von Berlin. Gleich werden sie im ICE sitzen, mit ihren grauen Wollmänteln, mit ihren iPhones, mit der zusammengerollten Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die Delegiertenkarte noch an die Hemdtasche geklammert und darüber nachdenken, an welcher Stelle sie abgekommen sind vom Weg zur klassenlosen Gesellschaft.